FMP/FREE MUSIC PRODUCTION - An Edition of Improvised Music 2010

FMP CD 137

G. Fritze Margull

 

Baden-Baden ’75


Beim Hören dieser Aufnahmen aus dem Jahre 1975 bin ich überrascht und beeindruckt, wie „frisch“ und zeitlos sich diese Musik gehalten hat, kraftvoll, dynamisch, auf hohem Niveau. Alle „Kompositionen“ sind in ihrer Charakteristik von den Namensgebern bestimmt und mit Spielwitz und ironischen Schlenkern eingeübt und aufgenommen.
Der Sound ist brillant und Big Band gemäß, Avantgarde Jazz der besten Art, von Musikern gespielt, die den Jazz und den Free Jazz geprägt und bestimmt haben.

„Globe Unity Orchestra“ ist ein von Alexander von Schlippenbach 1966 gegründetes Free Jazz Orchester, das sich seither, in mehr als vier Jahrzehnten immer wieder neu „erfunden“ hat, aber an dem von Schlippenbach formulierten Grundgedanken der freien, kollektiven Improvisation festhält.

Musiker aus verschiedenen Ländern, von Alexander von Schlippenbach eingeladen und aufgefordert mitzuspielen/mitzuarbeiten am Projekt Globe Unity veränderten das Orchester in seinem Klang und Spielweise fortwährend. Ein permanenter Prozess der noch immer anhält. Und sie hinterließen Kompositionen, die einstudiert wurden aber immer viel Freiraum für den einzelnen Musiker ließen. Sie waren durchgeschrieben oder in Form grafischer Notationen aufgezeichnet, die erst mit Musik gefüllt werden mussten.

„Der größte Teil, ungefähr 80 % unserer Arbeit und Auftritte sind rein improvisierte Stücke, während auch immer wieder, wenn die Möglichkeit gegeben ist, Kompositionen eingeübt werden können“. (A.v.S.)

War der erste Auftritt des Globe Unity Orchestra von der den Namen gebenden Komposition „Globe Unity“ von Alexander von Schlippenbach ein mehr oder weniger einstudiertes Konzert des damaligen Manfred Schoof Quintetts (mit Gerd Dudek, Buschi Niebergall, Jackie Liebezeit und Schlippenbach) und dem Peter Brötzmann Trio (mit Peter Kowald und Mani Neumeier) überraschte Alexander von Schlippenbach im darauf folgenden Jahr mit einer totalen Kollektivimprovisation des Globe Unity Orchestra.

„Ich versuchte, eine Methode zu finden, mit einem großen Ensemble von Spielern zu trainieren und herauszubekommen, wie sie zusammen arbeiten und eine Musik spielen können, die hörenswert ist – und nicht einfach Geräusch.
Große Orchester sind mein spezielles Interesse und das Globe Unity Orchestra ist mir besonders wichtig. Es war das erste Mal, dass eine Big Band diese Art von Orchestermusik gespielt hat. Im jetzigen Globe Unity Orchestra sind alle Solisten, die gemeinsam an der spontan geschaffenen Form mitarbeiten. Dahinter steht natürlich eine lange Geschichte“. (AvS)

Es ist schwierig, einen großen Klangkörper wie Globe Unity über all die Jahre in seiner Grundstruktur zu erhalten. Vorwiegend finanzielle Beschränkungen engen die Auftrittsmöglichkeiten ein. Gleichwohl bildet der „harte Kern“ des Orchesters, wie Evan Parker und Paul Lovens, mit Schlippenbach natürlich die Substanz des Orchesters. Das ermöglicht Schlippenbach, immer neue Zusammensetzungen der Band zu erproben und die Flexibilität des Orchesters aufzuzeigen. Jeder Instrumentalist der Big Band ist ein international profilierter Solist, wie auch auf diesen Aufnahmen aus Baden-Baden, 1975.

Im Zuge einer neuen Selbstorganisation der Musiker gab es in Wuppertal (seit 1973), von Peter Brötzmann und Peter Kowald organisiert, eine Reihe Workshops. Bei denen an den neuen Errungenschaften des Free Jazz weiter gearbeitet werden konnte.
Nach einigen Versuchen, diesen mit anderen Genres in Verbindung zu bringen (Volksmusik, Arbeiterlieder, Eisler, Weill etc) zog es Globe Unity ab 1974 wieder mehr zum Jazz, der in der Tat immer der Beweggrund und die Bestimmung dieser Band gewesen ist.
Ein gutes Dokument aus dieser, für das Globe Unity Orchestra so produktiven Zeit ist diese Veröffentlichung von Rundfunkaufnahmen des Orchesters mit den Gastsolisten Anthony Braxton und Enrico Rava beim Südwestfunk Baden-Baden aus dem Jahre 1975.
Unter den optimalen Bedingungen des Rundfunkstudios konnte die Big Band vier Tage proben und unterschiedliche Kompositionen der beteiligten Musiker aufnehmen.

1. „Marañao“ (Enrico Rava)
Solisten: Schoof, Rava, Dudek

2. „U-487“ (Anthony Braxton)
Solisten: Schlippenbach, Lovens, Wheeler, Braxton, Schoof, Brötzmann

3. „Jahrmarkt“ (Peter Kowald)
Solisten: Braxton, Mangelsdorff

4. „Hanebüchen“ (Alexander von Schlippenbach)
Solisten: Dudek (flute)

5. „The Forge“ (Alexander von Schlippenbach)
Solisten: Parker, Wheeler, Schlippenbach

Wie bei diesen Aufnahmen bleibt auch Globe Unity im Jahre 2010 geprägt von der überbordenden Spielweise der Musiker und verfolgt mit ästhetischem Eigensinn die Prinzipien der freien Improvisation.

Das vorläufige Resümee von Alexander von Schlippenbach:
„…viel ist auf der Strecke geblieben, aber was sich erhalten hat, war der Mühe wert und ist sozusagen zum festen, unverwüstlichen Bestand geworden. Es ist das in jahrelanger Arbeit gemeinsam Erspielte, Ergebnisse musikalischer Amalgamations-Prozesse, auf heißer Flamme geschmolzen und auskristallisiert.“

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