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Vorwort

Markus Müller (1994)

"...guided along, as it were, a chain of photographs into the mysteries of life."

Wenn Sie sich noch daran erinnern können, wann Ihnen das letzte Mal jemand ein Cheese angeboten oder von Ihnen verlangt hat, um ein besonders schönes und vorteilhaftes Foto von Ihnen zu knipsen, dann erinnern Sie sich bestimmt auch noch an die gemeine Lüge von dem Vögelchen, das angeblich kommen soll, wenn der Auslöser auf dem Kasten mit dem Auge gedrückt wurde. Kodak verspricht seit Jahrzehnten: "You press the button. We do the rest", aber um die Abermillionen enttäuschter Kinder, die seit Generationen auf das Vögelchen warten, kümmert Kodak sich nicht. Und vielleicht liegt es an der Geschichte von dem Vögelchen, daß unser Verhältnis zur Fotografie von hoffnungsfrohen Mißverständnissen verstellt ist. Die werden im Folgenden natürlich nicht weggeräumt, aber es sind gerade diese Mißverständnisse, die dazu geführt haben, daß über die Fotografie im Jazz immer wieder geschrieben wurde (zum Beispiel in Joachim Ernst Berendt's "Photo-Story des Jazz", 1978), wie wichtig sie für das Verständnis der Musik sei, weil: "Jazz optische Musik ist".

Dabei dokumentiert die "Jazzfotografie" doch, wie jede andere Fotografie vor allem das Verhältnis des Fotografen zum Objekt seiner Begierde und stellt nicht etwa das "Wesen der Musik" oder "das Wesen der Improvisation" dar. Der Kameraverschluß schweigt zu dem, worüber man nicht sprechen kann. Daß man etwas besser versteht, wenn man es mit nur mehr als einem Sinn erfährt, ist einerseits banal und andererseits müsste es bewiesen werden (Wahrnehmungspsychologie, Abt. Beethoven).

Der Jazz ist genau sowenig der Zigarettenrauch, der Hank Mobley und sein Tenorsaxophon auf dem berühmten Herman Leonard-Foto umschmeichelt, wie der coole Chet Baker in einem William Claxton-Arrangement. Daß Jazz schwarz-weiß und von Zigarettenrauch umnebelt ist, ist hingegen ein klassisches Klischee, zu vergleichen mit dem stereotypischen Bild vom Schwarzen, der den Rhythmus oder das Tanzen im Blut hat (Stereotypen, Abt. Rassenhygiene). Fotografisch diskutiert, ist die Ursache des Hard Bop-Revivals keineswegs die zugrunde liegende Musik, sondern die fotografische Darstellung bestimmter Musiker. Es wird nicht die Musik vermarktet, sondern es werden bestimmte fotografisch transformierte Klischees isoliert und Lifestylekompatibel aktualisiert. Dancefloor-Jazz, Acid-Jazz usw. orientieren sich nur deshalb an einer bestimmten Art von Musik, weil genau diese Musik über ihre Darstellung in der Fotografie mit einer Lebensart verbunden werden kann, die heute als "coolness" und "hipness" zu Mode gemacht und entsprechend vermarktet wird. Das die Fotografie die Illustration für aktuelle Lebensentwürfe liefert, ist weder das Problem der Fotografie noch das Problem der Jazzfotografie. Die Fotografie ist zur Zeit immer noch das Medium, das uns die Welt im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit verfügbar macht. Da gibt es keinen Unterschied zwischen Grace Kelly, Woodstock, der Mona Lisa, dem Taj Mahal und dem Jazz.

Aber es gibt einen Unterschied zwischen "Inszenierter Fotografie" und dem (wie ich es nennen möchte) "intimen Blick", der halb kunstvoller Schnappschuss, halb fotografisches Tagebuch ist. Die "Inszenierte Fotografie" hat sich von der Studiositzung bis zum "digital picture processing" oder "electronic imaging", also bis zur uneingeschränkten (und nur durch die technischen Bedingungen eingeschränkten) Manipulationsmöglichkeiten der Fotografie entwickelt. Welche Wirklichkeit ein Foto heute "abbildet", kann nur mehr der beschreiben, der weiß, wie das Foto entstanden ist.

Die "intime Fotografie" zeigt, wie bei Nan Goldin oder Linda Eastman und beim besten Hobby-Knipser, etwas anderes als "Inszenierte Fotografie". Aber was?

Fotografische Wahrheit ist eine Frage des Blickwinkels. "Wie beim Schach oder beim Schreiben kommt es darauf an, aus vorgegebenen Möglichkeiten eine ganz bestimmte auszuwählen, aber beim Fotografieren ist die Zahl der Möglichkeiten nicht begrenzt, sondern unbegrenzt" (John Swarkowski). Deshalb erscheint es mir für das Verständnis der Fotografie von Dagmar Gebers wesentlich, ansatzweise zu beschreiben, wie und unter welchen Bedingungen diese Fotos entstehen und nicht nur, was auf diesen Fotos zu sehen ist.

Dagmar Gebers fotografiert die Events der "FREE MUSIC PRODUCTION (FMP)" seit es diese Firma gibt, also seit 25 Jahren. Die FMP präsentiert die Musik nach mittlerweile sehr entschiedenen, eigenen ästhetischen Kriterien. Diese Kriterien erklären sich aus der Überzeugung, dass es um die Musik und deren Präsentationsformen geht. Die Ausführungsbedingungen sind auf das Wesentliche (less is more) reduziert. Es gibt eine Bühne, es gibt ein Auditorium, es gibt gerade soviel Licht und soviel Verstärkung, wie es braucht. Bert Noglik hat diese Rahmenbedingungen in seinem Essay "Ball Pompös, Arte Povera, Daily New Paradox", der zum 20jährigen Jubiläum der FMP erschien, wunderbar beschrieben: "Prinzipien der Präsentation: Keine außermusikalischen Zwänge; Integration der Musiker in inhaltliche Erwägungen der Vorbereitung: Nähe von Musikern und Publikum; Abbau des Druckes, quasi auf Bestellung etwas Gültiges abliefern zu müssen. Statt dessen: Mehrfachauftritte; Anwesenheit von Musikern über einen Zeitraum von mehreren Tagen; selbst gewählte Spielkonstellationen; Verzicht darauf, den Musikern reinzureden. Jost Gebers hält ein ´Klima von Vertrauen´ zwischen ihm und den Musikern für eine Grundvoraussetzung; er hasst ´karawanenartige Herdenauftritte von hochkarätigen Musikern´."

Das mag in einer Gesellschaft des Spektakels und nachdem sich kaum einer mehr daran erinnern kann, dass es für die Musiker des Berliner "Jazzfestes" mal eine (inoffizielle, aber immerhin) Kleiderordnung gegeben hat, unspektakulär und nüchtern klingen. Aber das "Total Music Meeting" und der "Workshop Freie Musik" haben von Beginn an die Arbeitssituation für Musiker und Zuhörer anders gestaltet, als es bis dahin üblich war, und damit auch eine spezielle Ästhetik der Vermittlung begründet. Das Bild, das wir von dieser Ästhetik der Vermittlung haben, ist auch durch die Bilder von Dagmar Gebers geprägt.

Seit 25 Jahren arbeitet sie nach einem bestimmten Verhaltenskanon. Sie sitzt mit den Konzertbesuchern in einem Boot. Sie ist (während eines Konzertes) nie auf der Bühne, sie fotografiert aus dem Zuschauerraum, sie fotografiert keinen "Zigarettenrauch", (außer es handelt sich um den von Misha Mengelberg), sie fotografiert Musiker bei der Arbeit. Ganz selbstverständlich. Wenn man die Fotografie von Dagmar Gebers mit den Standardaufnahmen, die uns aus den Büchern Leonard Feathers oder dem o.e. Fotobuch von Behrendt bekannt sind, vergleicht, fällt sofort dieser selbstverständliche Umgang mit dem Motiv auf. Bis in die 60er Jahre stilisierte die Fotografie (und es war zum größten Teil inszenierte Fotografie) den Musiker zum Star, zum unerreichbar-wunderbaren fernen Wunderwesen. Es wäre eine reizvolle Aufgabe zu untersuchen, ob sich mit der Emanzipation der europäischen Spielart des Jazz auch der Fotograf und der Konzertbesucher vom klassischen Verhältnis zwischen Bühne und Auditorium emanzipiert haben und ob die "Oktoberrevolution" im Jazz der 60er auch die fotografische Wahrheit, sprich die Blickwinkel verändert hat. Es wäre eine noch reizvollere Aufgabe zu untersuchen, wie Dagmar Gebers seit 25 Jahren ihrem "Motiv" Schritt für Schritt näher kommt und gleichwohl Distanz bewahrt. Wie sie über 25 Jahre ein gleichsam proustsches Fototagebuch mit Fremden, die längst Freunde geworden sind, um immer wieder neue Stücke aus dem Mosaik der unbegrenzten Möglichkeiten ergänzt. Manchmal erinnert diese Fotografie an Valerie Wilmer, aber auf den zweiten Blick sieht man, dass Dagmar Gebers (vielleicht weil sie systematisch einen ganz bestimmten Kontext, nämlich den der FMP fotografiert hat) viel näher dran und auch, ich wiederhole mich, viel weiter weg ist. Es ist Familienfotografie, aber es sieht so aus, als würde sich die Familie immer wieder von neuem begegnen. Schauen Sie mal genauer hin, vielleicht finden Sie sich ja wieder. Die hier präsentierte Auswahl (und leider ist es nur eine kleine Auswahl!) zeigt, was Fotografie ist. Sie ist Musiker, Fotograf und Betrachter - you do the rest.

aus einem Faltblatt der FREE MUSIC PRODUCTION (FMP) zur Fotoausstellung
von Dagmar Gebers (1994)