For Example/Workshop Freie Musik - 1969-1978

Peter Brötzmann (1978)

10mal Spaß und Musik

Willst du nicht auch? Leichtfertig wie ich bin, will ich natürlich. Aber dann - was schreiben? 10mal Ostern in der Akademie - 10mal Setzei mit Pfifferlingen am Ostersonntag im „Bellevue" unter der S-Bahn, wo der Wirt noch die Osterkarte liebevoll selbst malt und klebt und schreibt. Auch beim 10tenmal ist es immer noch ein Vergnügen - nach 8 Stunden Autobahn - in die Halle zu kommen, sich über den Holzfußboden zu freuen, die erste Probe zu versuchen oder nur ein bisschen anzublasen, in der schon wärmenden Ostersonne (manche Jahre gab's das wirklich) im Innenhof vor sich hin zu dösen.

Abends ist dann der Teufel los. Mit den Musikerfreunden hat man sich schon die Arme auf die Schultern und den Nachmittag um die Ohren geschlagen, jetzt kommen die Freunde dran.

Alten Freunden und neuen Freundinnen (oder umgekehrt) drückt man ein Bier in die Hand (öfter umgekehrt) - wer spät auf dem Programmzettel steht muss höllisch aufpassen, sonst schafft er den kurzen Weg bis zur Bühne nur noch mit Mühe.

Ab und zu guckt man um die Ecke, was die Konkurrenz so macht - ob der Breuker nicht endlich 'mal seine Klarinette auffrisst, der Alex ein noch schöneres Stück geschrieben hat, der Bennink den ganzen Schwarzwald zum Zerkloppen mitgebracht hat. Dem ist nicht so, zurück zur Bar. Ein Schnäpschen mit Leo kann nicht schaden, es werden mehrere. Gott sei Dank hat er ein nettes Zimmerchen in der Akademie und findet den Weg alleine.

Die Leute sind im Laufe der Jahre ruhiger geworden - liegt das an uns? (Zwischenfälle gab es eigentlich nie, 1969 wurden ein paar Objekte der Minimal-Art-Ausstellung, bei der wir zu Gast waren, beschädigt, von da an hatten wir zu Ostern die Halle für uns.) Die Stühle, auf die wir in den ersten Jahren verzichtet haben, sind längst wieder hervorgeholt worden, manche bringen sich diverse Campingutensilien mit -verständlich, von 21 Uhr abends bis 2 Uhr nachts Musik -wer hält das aus? Ich nicht! Ich mach' mich auf den Weg, mit Taxe, Freunden, oft zu Fuß, die Straße des 17. Juni hinauf, Ernst-Reuter-Platz, dann Richtung Savigny.

Es scheint, als sei die Kneipe ab zwei/drei Uhr von Musikern und Freunden okkupiert. Bernd grinst aus der Küchenecke und reibt sich die Hände, Carola huscht in irgendetwas Flatterigem durch die Menge, Chris sieht und hört nichts, aber man bekommt doch von ihm, was man braucht. Irgendwann zwischen morgens und mittags, je nach Durst und Laune fällt man in ein Bett, ich meistens in meins im Nations, dem freundlichsten Hotel dieser Stadt, wo man den ganzen Tag über Frühstück bekommt. Diese 24-Stunden-Stadt macht einen fertig.

Am nächsten Abend beginnt ein neuer Tag.

Die Leute kommen, mehr als genug, nicht nur Berliner oder Westler, eine trinkfeste Gruppe von Schweizern, Schweden, Franzosen, Italienern. Ein Heer von Fotografen - die sollten jedes Jahr einen auswählen und sich den möglichen Profit teilen.

Es hat sich tatsächlich herumgesprochen, dass diese Free Music-Werkstatt, dieser Workshop Freie Musik - Jost, ich kann das Wort nicht mehr hören - einmalig in Europa ist. Was bleibt mir da übrig, als mich zu bedanken, und ich denke, ich darf das im Namen aller Musiker tun, bei:

alI' den lieben Leuten, die über all' die Jahre gekommen sind,

der Akademie der Künste, stellvertretend für die Stadt Berlin, die mit Subventionen diese einmalige Sache ermöglichte,

den Mitgliedern der Akademie, die uns während dieser 10 Jahre immer ein wohlwollendes Auge und Ohr liehen,

Nele Hertling, die mit zurückhaltend hilfreicher Hand uns manche Tür öffnete,

Frau Hauser die die Appartementgäste verwöhnte,

den Szelags, den nettesten Hausmeistern der WeIt,

den jungen und alten Freunden, die an Kasse, Bier- und Würstchenstand Geduld und Ausdauer bewiesen.

Nicht zuletzt aber bei Jost Gebers, der oft bis zum Umfallen (das ist wörtlich zu nehmen) für diesen Workshop gearbeitet hat.

Natürlich gab's auch Musik, gute Musik, freie Musik. Meinetwegen könnte es die nächsten 10 Jahre weitergehen - oder solange ich noch einen Ton aus diesem gottverdammten Horn herauskriege.

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