Dirk H. Fröse (1973)

Free Music in Beispielen

Das Platten-Programm der FMP

So jung die Free Music Production ist – in ihrem Platten-Sortiment spiegeln sich doch wesentliche Phasen des mühsamen Aufschwungs, der ersten Konsolidierung, der stilistischen Entwicklung des Free Jazz oder der Free Music (eine konsequente Unterscheidung ist hier gar nicht möglich) in unseren Breiten.

Ein Überblick über die bisher dreizehn LPs läuft zu einem guten Teil auf eine Peter Brötzmann-Story hinaus. Man darf sich nur nicht an die FMP-Produktionsnummern halten, denn sie geben nicht die chronologische Reihenfolge der Aufnahmen wieder.

Da steht am Anfang Peter Brötzmanns Trio-Platte von 1967 mit dem Bassisten Peter Kowald und dem Schlagzeuger Sven-Åke Johansson: ursprünglich eine Brötzmann-Selbstproduktion und erst voriges Jahr als Reedition unter dem Label der Free Music Production als FMP 0080 (also als achte Platte) vorgelegt. Bei relativ eng festgelegtem Klangbild zeigt sich da die freie Spielweise schon beachtlich gefestigt, selbstbewusst. Eine hemdsärmelige, vitale Musik, in der Brötzmanns Saxophon mit rüdem Aufschrei stark dominiert, in der Kowalds treibender Bass aber auch für die direkte Querverbindung zum „laufenden“ Jazz sorgt. Zweifellos eine Platte fürs Museum des europäischen Jazz.

Die in der Nummerierung zweite FMP-Platte, die erste mit einer kleinen Besetzung (nach der Großaktion „European Echoes“), präsentierte 1970 dann gleich das neue Trio in seiner noch heute bestehenden Form mit „Balls“ ( FMP 0020). Dass die Gruppe sich nunmehr Brötzmann/Van Hove/Bennink nennt, spiegelt sehr richtig die neue Gewichtsverteilung wieder. Mit Fred Van Hoves vielfältigen Klaviereinfällen und dem, was der Trommel- und Perkussions-Vulkan Han Bennink leistet, ist ein neues Niveau von Differenzierung und Intensität erreicht.

Die Linie führt direkt zur ganz neuen FMP 0130, auf der sich das Trio noch weiter von der Aufbruchstimmung früherer Jahre entfernt hat und in kurzen Titeln allerlei Kabarettistisches und insgesamt beste Free-Music-Unterhaltung treibt. Davor liegt als gewichtige Episode der Berliner Langstrecken-Mitschnitt, der das Trio zusammen mit Albert Mangelsdorff auf drei LPs hören lässt ( FMP 0030/FMP 0040/FMP 0050). Bei allen Qualitäten, die eine solche Besetzung fast unweigerlich hervorbringt, entstand jedoch aus der Kombination nichts eigentlich Neues. Für viele besonders schöne Stellen, an denen sich auch die Bläserstimmen finden, scheint wesentlich Mangelsdorffs Anpassungsvermögen verantwortlich zu sein.

Auch am Beginn der anderen Linie – jener der größeren Besetzungen – steht Peter Brötzmann. Mit der fantastischen „Machine Gun“-Aufnahme von 1968. Mit der unkonventionellen Oktett-Besetzung von drei Saxophonen (Brötzmann, Evan Parker, Willem Breuker), Klavier (Van Hove), zwei Bässen (Kowald, Buschi Niebergall) und zwei Schlagzeugen (Bennink, Johansson) gab es damals den vielleicht wichtigsten Durchbruch der freien Musik bei uns. Es stimmt nicht gerade optimistisch, wenn man sich daran erinnert, dass auch diese unerhört vitale und bei einem sehr schönen Auftritt in der „Lila Eule“ zu Bremen aufgenommene Platte nur in Selbstproduktion realisiert werden konnte. Inzwischen ist sie als FMP 0090 neu aufgelegt. Dabei ist sie ein Glanzstück im erwähnten Jazz-Museum. Hier war eine Einheit von sehr freier Improvisation und vage arrangierter Rahmenhandlung gefunden, die die ganze Lebendigkeit der gemeinten Musik einfing und doch ausufernde Kollektive vermied.

Wie hoch das einzuschätzen ist, belegten ja gleich Manfred Schoofs „European Echoes“ anno 1969 – unter der historischen Nummer FMP 0010 – mit einer sechszehnköpfigen Bilderbuch-Besetzung von drei Tompeten (Enrico Rava, Manfred Schoof, Hugh Steinmetz), drei Saxophonen (Brötzmann, Gerd Dudek, Evan Parker), Posaune (Paul Rutherford), Gitarre (Derek Bailey), drei Klavieren (Van Hove, Alexander von Schlippenbach, Irène Schweizer), drei Bässen (Arjen Gorter, Kowald, Niebergall), zwei Schlagzeugen (Bennink, Pierre Favre). Der improvisatorischen Freiheit zuliebe wurde viel Undurchsichtiges in Kauf genommen. Glanzlichter auf beiden Plattenseiten kamen hier nicht wegen sondern trotz der guten großen Besetzung zustande.

Nur ein paar Wochen vorher war Alexander von Schlippenbachs „Living Music“ in Selbstproduktion aufgenommen worden (inzwischen als FMP 0100 neu aufgelegt). Mit nur sieben Musikern (Schoof, Rutherford, Brötzmann, Michel Pilz, Schlippenbach, Niebergall, Bennink) aber ähnlichem Konzept wie die „Echoes“ ist sie doch ungleich mitteilsamer, konkreter in der musikalischen Sprache geraten und abseits von verknäuelter Gruppenimprovisation ungezwungen und unterhaltsam.

Die jüngste Entwicklung bei der Free Music Production ergibt sich aus der Vorstellung neuer kleinerer und kleiner Formationen, von denen manche sich nur mit Mühe aus dem Schatten des in seiner Art so perfekten Brötzmann/Van Hove/Bennink-Trios lösen. Da war im vorigen Jahr zunächst die Rüdiger Carl Inc., die auf „King Alcohol“ (FMP 0060) die unterschiedlichen Bläser-Temperamente von Carl (Tenorsaxophon) und Günter Christmann (Posaune) gegen Detlef Schönenbergs Trommel-Grund ausspielte. Das Peter Kowald Quintett (FMP 0070) profilierte sich in der Gegenüberstellung von drei individuellen Bläsern (Peter van de Locht, Rutherford, Christmann) und der sehr abgestimmten Bass/Schlagzeug-Gruppe (Kowald, Paul Lovens).

Mit „Pakistani Pomade“ (FMP 0110) kommt wieder Alexander von Schlippenbach ins Programm, diesmal im Trio mit Parker und Lovens, während mit dem Posaune/Schlagzeug-Duo „We Play“, Günter Christmann und Detlef Schönenberg, die kleinste aller FMP-Gruppen ein neues, spielerisch unproblematisches Selbstbewusstsein demonstriert (FMP 0120) darin der neuen Brötzmann-Platte verwandt.

Nach dreizehn LPs schließlich legt die FMP jetzt die Sonderproduktion „Kinder und freie Musik“ mit Brötzmann/Van Hove/Bennink auf zwei 17-Zentimeter-Platten vor – außerhalb ihrer gewöhnlichen Nummerierung (FMP S 1/2). Der Versuch, das Prinzip der feien Musik nicht in erster Linie zur Herstellung von möglichst gelungenen Kunstprodukten, sondern allgemein als Rahmen für gelöste, kreative Betätigung, als pädagogisches Medium zu benutzen (eine Bestrebung, die bei der FMP nicht neu ist), überschreitet ja auch den Bereich des hier Skizzierten. Er deutet aber auch schon einen jener Punkte an, in denen sich die Free Music Production von den üblichen kommerziellen Organisationen unterscheidet.

aus: Jazz Podium # 9, September 1973

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