Werner Panke (1975)

Mit eigenen Platten gegen mächtige Krämer
Die Free Music Production macht ihrem Namen alle Ehre

„Es besteht immer das Bedürfnis nach Gegenteil“
Friedrich Hegel (1770-1831)
Philosoph des deutschen Idealismus

Die Free Music Production entstand als notwendige Alternative. Denn so wie es zuging im Musik-Business, so ging es nicht weiter. Die deutschen Avantgarde-Musiker wurden von den Krämern, die mit der Musik schachern, schnöde geschnitten.

Es fing an 1968, zum ersten von Berliner Musikern organisierten Anti-Festival, das eine hitzige Kampfansage an die an die Berliner Jazztage war. Geburtsort war das Undergroundlokal „Quartier des Quasimodo“, ein finsteres Loch. So erbost war man in den Sturm-und-Drang-Zeiten einer neuen Generation von Musikern auf die gesamte etablierte Szene, dass Jazzkritiker, wie ein handgemaltes Schild am Eingang warnte, den doppelten Eintrittspreis zu zahlen hatten. Der Autor schwieg beschämt über seine Profession.

Drinnen war der Teufel los. Ohne Ausnahme waren alle Musiker gekommen, die sich der neueren Szene zugehörig fühlten. Internationale Kontakte waren schon weit gediehen – John Stevens und das „Spontaneous Music Ensemble“ waren von England rübergekommen, John McLaughlin, damals noch kein abtrünniger Star, fand sich zusammen mit Gunter Hampel ein. Und die Stars des offiziellen Festivals, Sonny Sharrock und Pharoah Sanders, konnten in den langen Nächten erst hier sich richtig Freispielen.

Dieses erste „Total Music Meeting“ verlief derart hoffnungsvoll, dass man sich entschloss, die Bewegung in festere Gleise zu betten. Da gab’s natürlich Anfangsschwierigkeiten. Manch einer scherte unbefriedigt wieder aus. Erst im Sommer 1969 wurden die Weichen endgültig gestellt. Den Kader bildeten Peter Brötzmann und Jost Gebers.

Gebers: „Alle waren sich darüber einig, dass wir keinen Verein, keine juristische Gesellschaft, geschweige denn eine Firma gründen wollten“. Im ersten genossenschaftlichen Überschwang hatte man nicht geglaubt, dass man sich mit lästigem Kleinkram juristischer und monetärer Natur ernsthaft auseinandersetzen müsse.

Unabhängig von der Industrie

Aus einer Verlautbarung der FMP: „Free Music Production ist eine Non-Profit-Organisation von Musikern, deren Ziel es ist, zeitgenössischen Jazzmusikern und Komponisten von der kommerziellen Musikindustrie unabhängige Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und durch geeignete Präsentation dem Hörer einen informativen Überblick über die neue Jazzmusik zu ermöglichen“.

Schlagwortartig lässt sich sagen, dass die FMP mitten im Kapitalismus mit dessen Mitteln gegen ihn antritt, oder wörtlich: „anspielt“.

Keineswegs also hat sie gesellschaftliche und wirtschaftliche Usancen umgangen, sondern sie nutzbar gemacht. Für eigene Zwecke. Für Künstler, die, sonst, trotz gelegentlich scheinbarer Narrenfreiheit, vom Business gemieden wurden, weil ihnen aber auch nicht ein Quäntchen von Verwertbarkeit zu entlocken war.

Hinter der FMP steht zweifellos auch ein soziales Programm. Ihre Platten sind eine musikalisierte Agitation für ein erträglicheres Zusammenleben. Die Utopie einer kreativen Sozialisation gewinnt hier, in der Verkettung von künstlerischen und wirtschaftlichen Bereichen, durchaus eine praktikable Realität.

Auf ihre Weise streben auch Gunter Hampel, Dieter Scherf, Alfred Haurand und die anderen selbstproduzierenden Musiker – jeder für sich – dasselbe an, während die FMP eine Kooperative ist.

Eine Art Kolchose ist sie deswegen jedoch nicht. Jeder Musiker behält das ungeteilte Recht an seinem Produkt.

Die Platten werden in der Regel in Startauflagen von 500 Stück gepresst, an Verkaufszahlen der Companies gemessen bescheiden. „Sicher ist Umsatz erfreulich, weil lukrativ. Aber wichtiger ist es, 1000 Leute mit neuen Dingen bekannt zu machen, als 10 000 Leuten alte Platte zu verkaufen“, argumentiert Gebers.

Brandneu in den Versand

Neu sind die FMP-Platten in der Tat. Brandneu sogar. Die „Balls“-Platte beispielsweise gelangte nur sechs Wochen nach der Aufnahme in den Versand! So kurzfristig schafft es keine große Firma.

Da aber bisher der Vertrieb hauptsächlich über den Postversand und sonst nur noch bei Konzerten der Musiker erfolgte, blieben die Umsätze kümmerlich. Soeben wurde darum der Vertrieb teilweise einem leistungsfähigen kommerziellen Unternehmen (Bellaphon in Frankfurt) angegliedert. Eine schizophrene Wendung? Solange die Prämisse der Produktionsgrundlagen nicht darunter leiden. Nein! Es bleibt abzuwarten, ob die FMP sich den Gesetzen von Mehrwert und Zuwachs auf Dauer wird entziehen können.

Ständig steigende Kosten machen auch vor der FMP nicht halt. Bei 500 Exemplaren liegen die Einstandkosten zwischen 3500 und 5000 Mark. Gewinne sind da nicht merklich zu erwarten. Die Spanne liegt bei 25 Prozent vom Endverkaufspreis (20 Mark). Die bescheidenen Erlöse werden sofort wieder in neue Projekte investiert. Drei Jahre beträgt noch die Festlegungsfrist; man hofft, in absehbarer Zeit einen wenn auch kleinen, so doch festen Produktionsfundus zu erwirtschaften. Brötzmann: „Bis jetzt hab ich aus meinen Plattenproduktionen noch keinen Pfennig gezogen“.

Während die großen Gesellschaften ohne Erbarmen dem Produktionszwang ausgesetzt sind, gilt für die FMP: „Eine Platte sollte man nur dann machen, wenn es sich musikalisch lohnt und nicht, wenn es finanziell erforderlich scheint oder gerade ein Studiotermin frei ist“.

Spartanische Ausstattung

Auf den Inhalt der Musik sind die Plattentaschen abgestimmt. Hier soll dem Käufer kein bunter Sand in die Augen gestreut werden. Die Ausstattung ist einfach bis spartanisch. Unverkennbar vermitteln die Graphiken auch visuell den Moment eines Entstehungsprozesses und entsprechen damit dem Charakter der improvisierten Musik. Oft sind sie von den Musikern selber gestaltet. Im Falle der FMP 0070 waren zwölf Freunde von Peter Kowald beteiligt, wobei jeder ein Stückchen der Fläche gestalten durfte.

An der, mit kommerziellen Auswüchsen verglichen, sparsamen Illustrierung sollte sich ohne Not auch nichts ändern, weil sie bereits einen Teil des FMP-Images ausmachen.

Zunehmend entwickelt sich die FMP zu einer funktionablen Betriebsamkeit. Inzwischen wurde in Berlin ein Büro gemietet und ein Mann als Sekretär engagiert, der sich, sowohl in diesem Gewerbe auskennt wie auch in der speziellen Sphäre dieser Musik beheimatet ist. Und die Eintragung ins Handelsregister erweist sich als notwendig und ist in Vorbereitung. Zum Stolz der FMP gehört jetzt auch eine sehr gute und transportable eigene Aufnahme- und Verstärkerapparatur.

Keine Eigenbrötler

Die FMP-Musiker stehen also durchaus tatkräftig auf dem Boden der Realität. Und der Verdacht, die FMP könne eine Clique eigensinniger, rechthaberischer Eigenbrötler sein, verpufft. Sie arbeiten auch zusammen mit Musikern, wie Albert Mangelsdorff und Manfred Schoof, die im internationalen Jazzgeschäft etabliert sind, auch natürlich mit den Selbstverlagen von Gunter Hampel (Birth), Scherf und anderen. Die Verbindungen gehen bis zu Frank Wright und Alan Silva in Paris. Enge Kooperation wird auch mit den Schwesterorganisationen geübt, mit „Incus“ und „Emanem“ in London und der dortigen „musicians co-op“ und mit den Holländern des Instant Composers Pool (ICP) und BVHaast. Nur mit dem amerikanischen Jazz Composers Orchestra sind die Gespräche wegen der in New York völlig differierenden Situation nicht gediehen.

Jazz aus der DDR

Aufsehen erregte die FMP auch in breiteren Kreisen mit einer Produktion, die eigentlich so nahe lag, aber wiederum so fern. Nämlich mit Jazz aus der DDR. Nach kurzen, erstaunlich problemlosen Verhandlungen mit den DDR-Behörden konnte ein Projekt von Ernst-Ludwig Petrowsky realisiert werden. Eine Platte von Ulrich Gumpert folgte. Noch immer aber hoffen Fans in Westdeutschland, eine ostdeutsche Gruppe hier live zu hören. Trotz unermüdlicher Anstrengungen der FMP war in dieser Hinsicht der Eiserne Vorhang undurchdringlich.

Ansonsten aber lassen es die FMP-Musiker nicht bei Plattenproduktionen bewenden, sondern realisieren ihre Absicht, der Musik eine adäquate Präsentation zu verschaffen, auch in Konzerten. Denn gerade diese Musik (Free Jazz – wenn es denn noch gesagt sein muss) wird erst live so blutvoll erlebt wie gespielt. Auch hier geht die FMP ihre eigenen Wege. Die Musiker müssen so wenige Zwänge wie unvermeidbar eingehen. Ein minuziöser Fahrplan existiert meist nicht, dennoch klappt alles reibungslos. Pannen lassen sich hier und da nicht gänzlich vermeiden, werden aber vom Publikum als selbstverständlich toleriert.

Auch die Konzertbesucher finden bei der FMP Bewegungsfreiheiten. Stuhlreihen stören bloß, die Spielfläche wird, wenn eben vertretbar, zugänglich gehalten. Nie sollten sich die Zuhörer gezwungen fühlen, einen Set von Anfang bis Ende durchzustehen. In ausgedehnten Sets ergeben sich neben Spannungsmomenten zwangsläufig auch Lücken. Daher sollten die Besucher die Freiheit behalten, sich entsprechend ihrer Konzentrationsfähigkeit zu bewegen.

Inzwischen ist die Konzertaktivität von Berlin aus auf mehrere Städte in der Bundesrepublik ausgedehnt worden. Die Eintrittspreise sind extrem niedrig, damit dem Geldbeutel der Interessenten angepasst. Auf das Image der Konzerte und musikalische Inhalte sind die Plakate abgestimmt, analog zu den Plattenhüllen. Unverschnörkeltes Schwarz verkündet auf schlichtem Weiß pure Informationen – wer wann und wo spielt. Das „wie“ soll der Interessent und spätere Hörer bei sich selber bilden. Die perfekte Show, der elitäre Genuss sind einer ihnen gemäßen Rezeption nur hinderlich, glauben die Musiker. Die Hörer dürfen und sollen den „Prozess des Machens“ in voller Breite erleben.

aus: Neue Musikzeitung, Dez. 1975/Jan. 1976

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