Jost Gebers (1979)

FREE MUSIC PRODUCTION (FMP)

Seit Herbst 1969 existiert die Organisation Free Music Production. Vor diesem Zeitpunkt gab es jedoch schon eine Zusammenarbeit von deutschen Free Jazz Musikern, zum Beispiel innerhalb der nur kurz bestehenden "New Artists Guild" oder bei Projekten wie den selbst organisierten Veranstaltungen 1968 parallel zu "Jazz am Rhein" in einer Kölner Tiefgarage und zu den Berliner Jazztagen das erste "Total Music Meeting".

Die Idee zu diesem Zusammenschluss basierte zum einen auf den geringen Arbeitsmöglichkeiten in dieser Zeit, die es zu verbessern galt, auf den Erfahrungen, die einige Musiker bei Schallplattenfirmen machten und zum anderen auf den Beispielen, die aus den U.S.A. bekannt waren. Schon von Anfang an war eigentlich klar, dass die FMP weder nur eine Schallplattenfirma noch nur eine Konzertagentur sein kann. Bis heute besteht dieses Konzept, neben den kontinuierlichen Schallplattenproduktionen ständig auch Konzerte und Workshops durchzuführen.

Anmerkung 1:
Alle Meinungen die ich hier im Folgenden formuliere, sind sicher subjektiv und deshalb nicht verbindliche "FMP-Meinung". Für uns war es, mit einer relativ großen Meinungsvielfalt, immer schwierig, die Diskussionen über Konzepte, Qualität, politische, gesellschaftliche, künstlerische oder auch "nur" ökonomische Strukturen, auf einen für alle verbindlichen Punkte zu bringen.

Rückblickend ergibt sich, dass zwar viele Musiker, die angesprochen wurden, an diesem Projekt interessiert waren, aber mit sehr unterschiedlichen Intentionen. Eine tatsächlich enge Zusammenarbeit gab und gibt es eigentlich nur mit wenigen, Mitarbeit an verschiedenen Projekten mit unterschiedlichen Aufgaben und mit dem Einbringen von realisierbaren Ideen und Vorschlägen gab es von Anfang an nur von einer Seite.

Anmerkung 2:
Die Grundidee zur FMP erarbeiteten Peter Brötzmann und ich.In der folgenden Zeit wurden viele Musiker angesprochen mitzuarbeiten, mitzumachen. Im Gegensatz zu uns beiden, denen klar war, dass, wenn überhaupt Erfolge, diese erst nach Jahren eintreten könnten, hofften die meisten der Angesprochenen auf schnelle Ergebnisse. Als diese in der Anfangszeit ausblieben, reduzierte sich der Anfangskreis letztlich wieder auf Brötzmann und mich. Erst ab 1972 interessierten sich wieder einige Kollegen für die FMP.

In den ersten Jahren (1969 - 72 ) manifestierten sich die Formen, in denen wir unsere beiden wichtigsten Veranstaltungen in Berlin konzipierten, im Frühjahr der "Workshop Freie Musik" in der Akademie der Künste und im Herbst, parallel zu den Berliner Jazztagen, zeitlich versetzt, das "Total Music Meeting". Wir wollten keinesfalls innerhalb der üblichen Festivalschablonen (Anreise, auf die Bühne, zwanzig bis vierzig Minuten spielen, Abreise) Musiker und Gruppen präsentieren, sondern vielmehr versuchen die Arbeitsweisen der Musiker und Gruppen durch mehrfache Auftritte innerhalb der fünftägigen Reihen transparent zu machen,. Für den interessierten Teil des Publikums ergab sich dadurch die Möglichkeit intensiver den Prozess des Musikmachens kennen zu lernen, aber auch qualitative Beurteilungsmaßstäbe zu finden. Auf Seiten der dort auftretenden Musiker wurde, ohne den extremen Druck zum Abliefern, mehr von dem möglich, was eigentlich für diese Musik Substanz ist: sich selbst in Frage zu stellen, zu erproben, zu spielen.

Ähnliche Überlegungen treffen auch bis heute auf unsere Schallplattenproduktionen zu: Es handelt sich mit wenigen Ausnahmen um Live-Mitschnitte, die musikalische Entwicklungen und Aktionen dokumentieren.

Anmerkung 3:
Die elektronische Entwicklung der letzten Jahre hat natürlich bei Schallplattenproduktionen einen gewaltigen Einfluss. Es ist mit Mehrspuraufzeichnung, durch Overdubbings, Playbacks, Filter, Phaser, Hall usw. möglich, während des Abmischens auf die beiden Stereospuren , aus einem Solisten eine Bigband zu machen oder die Musik bis ins Entgegengesetzte zu verfremden. Bei unseren Schallplattenproduktionen versuchen wir so realistisch wie nur möglich die musikalischen Abläufe festzuhalten. Ästhetische Überlegungen wie ein Saxophon klingt oder ein Schlagzeug, entfallen zugunsten der Überlegung wie Brötzmann klingt oder Dudek oder Parker, wie Lovens klingt oder Bennink. Der Einsatz der notwendigen Elektronik (Mikrophone, Mischpult, Bandgeräte) gilt zusammen im Augenblick des Entstehens. Weitere Manipulationsmöglichkeiten sind nicht mehr möglich. Fehler des Aufnehmenden in der Mischung sind nicht mehr zu korrigieren.

Innerhalb unserer Aktivitäten - Live und auf Schallplatten - haben wir neben den kontinuierlichen Arbeitsprozessen von Brötzmann, Schlippenbach, Globe Unity, Carl, Kowald, Schweizer, Reichel sowie Free Jazz aus der DDR (Petrowsky, Gumpert, Sommer) immer wieder junge Musiker und Gruppen vorgestellt und versucht, ihnen eine Plattform zu verschaffen, obwohl wir seit Anfang an immer wieder versucht haben, Musiker zu aktivieren, sich selber zusammenzuschließen und ähnliche Organisationen zu schaffen wie die FMP. Konsequent realisiert wurde das allerdings nur von einigen Gruppen im Rockmusikbereich, die unter der Marke Schneeball zusammenarbeiten.

Anmerkung 4:
Bei allen Schallplattenfirmen und Konzertveranstaltern gehen täglich Angebote von Gruppen und Musikern ein. Abgesehen von erheblichen qualitativen Unterschieden im musikalischen Angebot, ist es erschreckend wie unklar die Vorstellungen der sich anbietenden Leute über ökonomische Zusammenhänge und künstlerische Möglichkeiten sind. Fast immer herrscht die Überlegung vor, dass mit einer Schallplatte der künstlerische Durchbruch und das große Geld zu erreichen sei, ohne zu berücksichtigen, dass diese Musik zwangsläufig nur von Minderheiten rezipiert wird.

Free Music Production hat zur Zeit etwa 80 Schallplatten im Angebot, davon sind fast 30% Produktionen mit Musikern der jüngeren Generation, die alle bei uns erstmalig die Chance hatten, eine Schallplatte einzuspielen. Der finanzielle Aufwand für eine Schallplattenproduktion ist mit wenigen Ausnahmen identisch, egal ob eine Brötzmann-, Schlippenbach-, Globe Unity-Platte oder eine mit Nachwuchsmusikern gemacht wird. Allerdings ist der Rücklauf der investierten Mittel bei den inzwischen etablierten Leuten natürlich wesentlich schneller spürbar. Dazu kommt, dass sich ein Feedback auf eine Platte für die Gruppe oft erst nach Jahren bemerkbar macht. Eine Frage dazu: Wie viel Schallplatten mit Nachwuchsmusikern sind bei den deutschen etablierten Schallplattenfirmen gemacht worden, die nicht auf der modischen gängigen Well Jazz-Rock angesiedelt sind;

Nach 10 Jahren kann ich von mir und für mich als Bestand formulieren:

    • viele Ideen und Überlegungen sind nicht zu realisieren gewesen oder über Anfänge nicht hinausgegangen. Als wesentlichste vielleicht: ein Verbund von Musikerorganisationen, der die kommerziellen Vertriebswege der Plattenkonzerne unterläuft, kam nie zustande, wäre aber der mit Abstand wichtigste Schritt gewesen.
    • ich vermisse bei vielen von unseren Kollegen die Identität von Anspruch und Wirklichkeit. Als Positives bleiben einige Dinge, die anders nicht hätten realisiert werden können:
    • eine doch große Anzahl von wichtigen akustischen Dokumenten,
    • einige Projekte, die in ihrer Kontinuität über Jahre maßgebliche Entwicklungen in dieser Musik unterstützt und gefördert haben,
    • inzwischen ein kleines Publikum das auch gewillt ist nicht nur "Namen" zu konsumieren, sondern sich auch mit neuen Dingen und neuen Musikern auseinanderzusetzen.

aus: Neue Zeitschrift für Musik 3/1979, © Neue Zeitschrift für Musik

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