Lothar Jänichen (1979)

10 Jahre FREE MUSIC PRODUCTION (FMP) in Berlin

Ein Gespräch mit Jost Gebers

 

Jänichen: Zwei der großen Veranstaltungen, der "Workshop Freie Musik" und das "Total Music Meeting" jährten sich 1978 bereits zum zehnten Male. Man wundert sich fast ein wenig, wenn man erfährt, dass die Free Music Production nun im September 1979 ihr zehnjähriges Bestehen feiert.

Gebers: Richtig, als FMP existieren wir seit dem September 1969. Da liegen aber natürlich ein paar Jahre Arbeit davor, in denen wir, Brötzmann, von Schlippenbach, Schoof und ich, schon zusammenarbeiteten, daraus resultierte dann eigentlich FMP. Im Sommer 1968 machten einige Musiker dieses Kreises dann Konzerte parallel zu einer Veranstaltung in Köln, die "Jazz am Rhein" hieß. Hier in Berlin gab es dann im Herbst 1968 das erste "Total Music Meeting", Ostern 1969 den ersten "Workshop Freie Musik" und ein halbes Jahr später, so im August, September klärte es sich, dass es irgendwie so eine Organisation geben würde, die FMP heißt und die bestimmte Dinge machten sollte.

Jänichen: Die Gründung der FMP fällt mit dem Höhepunkt der Studentenunruhen zusammen, lässt sich aus dieser Zeit ein politischer Anspruch eurer Arbeit herleiten.

Gebers: Es gibt bei uns Leute, die ganz konkret einen politischen Background haben und auch ihre Musik politisch gewertet haben wollen. Es gibt aber auch andere, die sich für Politik überhaupt nicht interessieren. Es ist schon schwierig, musikalisch auf Qualitätskriterien zu kommen, innerhalb des Rahmens in dem wir arbeiten, der für alle Leute verbindlich ist. Wenn man das auch noch auf eine politische Meinung bringen wollte, würden wir etwas anderes tun, als das, was wir heute machen. Einziges Kontrollorgan sollte die Person sein, die ihre Musik macht.

Jänichen: War das Klima jener Zeit nicht aber vielleicht begünstigend für eure Arbeit.

Gebers: Das ist richtig. Die Leute, die damals anfingen über politische Dinge anders nachzudenken, fanden da plötzlich eine Musik, die auch anders funktionierte und die haben sie sich schnell unter den Nagel gerissen. Deshalb waren damals die Konzerte und Clubs immer relativ gut besucht. Aber dann haben sie sehr schnell gemerkt, dass unsere Musik nicht in dem Sinne verwertbar ist, wie sie es gerne gehabt hätten. Wenn man eine ganze Reihe von Leuten, die 68/69 ständig bei uns waren, heute wieder trifft, hören sie wirklich die reaktionärste Rockmusik, lesen dazu aber immer noch alles, was es an linken Tagenszeitungen gibt, empfinden uns als elitär, ohne mitzukriegen, dass die ganze Rockmusik, mit der sie sich einlullen lassen, das schlimmste ist, was es zur Zeit musikalisch gibt. Für uns war es damals gut, dass sie kamen, weil wir in der ersten Zeit überhaupt keine Unterstützung für unsere Konzerte hatten, wir waren also auf die Einnahmen angewiesen. Dass die gesamte damalige Situation etwas gravierend musikalisch bestimmt hat, ist aber wohl nicht der Fall.

Jänichen: Kommen wir zu den Aufgaben, die sich die FMP bei ihrer Gründung gestellt hat.

Gebers: Das war auf der einen Seite die Plattenproduktion, andererseits die Organisation von Konzerten. Beides unter einem Aspekt: ein bisschen mehr dem angepasst, was diese Musik ist, was sie war, aber auch ein bisschen mehr auf die Probleme der Musiker und des Publikums Rücksicht zu nehmen. Das heißt also, andere Präsentationsformen zu finden, wie man die Leute mehr motivieren kann, sich diese Musik anzuhören und auch ein bisschen mehr transparent zu machen, wie diese Musik eigentlich entsteht. Wir wollten also nicht die sonst übliche Geschichte machen, dass sich ein paar Leute hinstellen und musizieren und dann in der Garderobe verschwinden, sondern wir wollten, sehr vorsichtig, auch versuchen, die Prozesse über Zeiträume klar zu machen, wie die Leute arbeiten und wie man zu bestimmten Ergebnissen kommt.

Jänichen: Was waren die wichtigsten Absichten bei der Plattenproduktion?

Gebers: Zu dokumentieren, möglichst wenig den Musikern reinzureden, am besten gar nicht, und die Musik so realistisch wie möglich auf das Band und später auf die Platten zu bringen. Darüber hinaus gab es natürlich noch andere Ideen. Die wichtigste: einen weltumspannenden Vertrieb, basierend auf ähnlichen Musikerorganisationen in England, Holland und Amerika (Incus-Musicians Co-op, ICP, JCOA) aufzubauen. Das hat im Ansatz funktioniert, lief aber dann nicht sehr gut, weil es für verschiedene Leute, die daran mitgearbeitet haben, sehr schnell Gründe gab, nicht mehr mitzumachen, weil sie die Möglichkeit sahen, auf kommerziellem Weg zu größerem und schnellerem Erfolg zu kommen. Und das ist nach zehn Jahren immer noch das Bedauerlichste, dass dieser Punkt eigentlich gar nicht realisiert werden konnte. Es wäre sehr wichtig gewesen, um die kommerziellen Vertriebswege und damit auch die Preise zu unterlaufen. Die Verhältnisse sind ziemlich wahnsinnig, wenn man sich überlegt, wie die Realität eines Plattenpreises von DM 20,-- zustande kommt, dass der Typ, der die Platte tatsächlich produziert, der Musiker, am wenigsten vom endgültigen Produkt hat. Der Vertrieb zieht eine Menge ab, etwa 5 Mark, der Einzelhändler wiederum 5 Mark, das sind so etwa die Konditionen; dann wird angeführt, die Investitionen seien zu hoch. Das ist in der Relation natürlich ein absoluter Nonsens. Die Investition des Musikers allein in Instrumente, Studium, Probenarbeit usw. ist genauso groß. Oder für uns die Anschaffung der technischen Geräte, die Bänder herzustellen… Darüber hinaus ist unsere Musk natürlich auch schlechter zu verwerten, als zum Beispiel Popmusik. Aus diesen genannten Gründen wollten wir zu einer richtigen Alternative kommen und einen Weg finden, dass man diese ganzen Dinge unterläuft und auch eine bessere Möglichkeit der Verteilung dieser Gelder, die da zur Debatte stehen, hat.

Jänichen: Werdet ihr inzwischen vom Staat unterstützt?

Gebers: Eine schwierige Sache. Wir machen Konzerte, wir machen Platten und verkaufen sie. Dadurch, dass das in einem Hause passiert, sind wir für den Staat ein Gewerbebetrieb. Wir stellen etwas her und verkaufen es, möglichst mit Gewinn. Auf der anderen Seite machen wir Konzerte. Wobei man bei einem Konzert überhaupt keinen Gewinn machen kann, das war uns am Anfang schon klar. Für verschiedene Projekte innerhalb des Konzertbereiches bekommen wir Subventionen, sonst könnten wir sie nicht durchführen (Workshop Freie Musik, Total Music Meeting, Rathauskonzerte, Jazz Now).Eben wie bei jedem Theater, jedes Theater ist auf öffentliche Zuschüsse angewiesen. Aber wir können innerhalb der Plattenproduktionen selbst, wo zum Beispiel Unterstützung nötig wäre, oftmals nötiger als bei Konzerten, nicht damit rechnen. Auf der anderen Seite haben wir innerhalb unseres Plattenprogramms drei Ebenen, auf denen wir arbeiten: die der Leute der ersten Stunde (Brötzmann, Kowald, Schlippenbach) - schon damals relativ populär - , dann die des Nachwuchses, den wir über Plattenproduktionen und Konzerte zu unterstützen versuchen. Die dritte Ebene bilden zum Beispiel Musiker aus der DDR, oder Steve Lacy, John Tchicai, die irgendwie Verbindung zu uns gesucht haben oder wir zu ihnen. Innerhalb der Plattenproduktion zeigt sich da eine besondere Schwierigkeit, dass wir nämlich nur ein Drittel Platten haben, bei denen die Investitionen zurücklaufen, manchmal dabei in relativ kurzer Zeit.

Jänichen: Ich kann mir vorstellen, dass ihr mit Platten von Nachwuchsmusikern große Probleme habt.

Gebers: Ja, das ist für uns das schwierigste Drittel. Eine Platte herzustellen verlangt einige tausend Mark Grundkosten. Dieses Geld wieder reinzukriegen mit ganz unbekannten Namen ist unglaublich schwierig. Auf der anderen Seite sind die Produktionen mit Nachwuchsmusikern für uns aber ein unheimlich wichtiger Aspekt. Denn die ganze Szenerie stirbt ja aus, wenn man sich immer wieder nur auf die populären Namen stützt. Es würde dabei auch zu Verzerrungen kommen, weil man den Kern der Sache aus den Augen verlieren würde, wenn man immer nur die Entwicklung von einigen Personen sieht, die natürlich wichtig, oftmals prägend sind, aber doch nicht konkret die Gesamtsituation aufzuzeigen.

Jänichen: Woher kommen eure Nachwuchsmusiker?

Gebers: Aus Berlin eigentlich die wenigsten, nur Friedemann Graef und seine Gruppe, der Pianist Arndt und der Bläser Fuchs. Das ist die Handvoll Leute, die hier leben und hier arbeiten. Berlin ist eben so eine Touristenmasche in Sachen Jazz. Da gibt es ein paar Mal im Jahr große Veranstaltungen, aber eine regelrechte Jazzszenerie gibt es hier nicht. In der Mehrheit kommt der Nachwuchs aus dem Bundesgebiet.

Jänichen: Kannst du vielleicht einige Namen nennen?

Gebers: Neben Georg Gräwe, Elmar Kräling und Martin Theurer, von dem bald eine Platte erscheinen wird, das sind die Jüngeren, möchte ich noch Hans Reichel nennen, der inzwischen, Gott sei Dank, auch so etwas wie ein etablierter Mann ist. Achim Knispel, oder das Duo Christmann-Schönenberg, die damals niemand kannte; Rüdiger Carl. Das sind im Grunde schon so die Etablierten. Aber sie haben von Anfang an die Möglichkeit gehabt, bei uns etwas zu machen. Das Dumme ist, dass wir immer noch die Einzigen sind, die sich um die Förderung dieser Musik aktiv bemühen. Wenn man sich einmal die Arbeit der etablierten Plattenfirmen in den letzten zehn Jahren ansieht, fragt man sich, was die eigentlich für den Nachwuchs getan haben. Natürlich werden irgendwelche Leute aufstehen und behaupten, sie hätten doch dieses oder jenes gemacht, aber meistens bewegt sich das im etablierten Jazzrock-Bereich. Bei ECM sind es Amerikaner. Und wenn man weitergeht, MPS, ENJA beispielsweise, die Konzerne sowieso, wo wird da in den Nachwuchs investiert; Das ist eine bedauerliche Situation. Der amerikanische Jazz hat in Deutschland immer noch einen weitaus höheren Stellenwert. Archie Shepp, Art Blakey oder andere werden zum Beispiel durch die deutschen Clubs geschickt, oftmals für Gagen, die unter dem liegen, was deutsche Musiker einfach zu ihrer Existenz haben müssen, während es bei den durchreisenden Amerikanern nur einen freien Tag füllen soll. Das führt dann dazu, dass ein Mann wie Peter Brötzmann in Deutschland vielleicht fünf-, sechsmal im Jahr spielt. Man kann sich leicht ausrechnen, welche Schwierigkeiten dann die Nachwuchsleute haben. Die Jazzszene in Deutschland ist doch sehr abhängig von immer denselben Personen, die in einflussreichen Positionen sitzen, meistens beim Rundfunk, gleichzeitig schreiben, da irgendwo eine Sache herstellen, die mit der tatsächlichen Situation überhaupt nichts mehr zu tun hat. Der Clubbesitzer ist angewiesen auf eine gewisse Resonanz. Das Publikum ist aber durch die Medien vorgeprägt und will dann natürlich Shepp oder Blakey hören und ist völlig uninteressiert an dem, was beispielsweise Achim Knispel macht. Das ist eine unheimliche Mühle und wenn wir nicht aufpassen, wird es in absehbarer Zeit so sein, dass es überhaupt keine Jazzmusiker mehr gibt. Es sei denn Leute aus dem Jazzrock-Lager, die uns die Ohren volldröhnen.

Jänichen: Habt ihr in der Frage der Nachwuchsarbeit schon einmal Kontakte zur UDJ aufgenommen?

Gebers: Ich sehe da nicht so viele Möglichkeiten für uns mitzuarbeiten, weil mir die Struktur der UDJ sehr suspekt erscheint. Es gibt vielleicht 60 professionelle Jazzmusiker in Deutschland. Die UDJ hat, soviel ich weiß, knapp 400 Mitglieder. Jetzt kann man sich leicht ausrechnen, dass da ein merkwürdiges Gefälle ist: 60 Leute haben vielleicht ähnliche Intentionen innerhalb dieses Vereins; andere, die wollen überhaupt erst einmal anfangen. Das sind etwa 300, größtenteils Amateure, die eine Plattform finden möchten, um einmal spielen zu können. Der Anteil der wirklich professionellen Musiker ist dort zu gering geworden.

Jänichen: Sprechen wir doch auch über eure Konzertveranstaltungen. Zum Beispiel über das "Total Music Meeting", das 1968 als Gegenfestival zu den Berliner Jazztagen apostrophiert wurde.

Gebers: Viele Leute haben das damals eigentlich in die falsche Kehle gekriegt. Es war klar, dass wir anders arbeiten würden. Wenn man zehn Jahre später die Veranstaltung sieht, ist es auch für den Laien ablesbar, was da eigentlich anders ist. So versuchen wir auch die Störfaktoren, wie das Fernsehen mit den riesigen MAZ-Kameras, draußen zu lassen. im Wesentlichen haben wir arbeitende Gruppen vorgestellt, also nicht Ad-hoc-Zusammenstellungen, wie es damals bei den Jazztagen üblich war. Dazu versuchen wir die Prozesse auf der Bühne dem Publikum klar zu machen, dadurch, dass eine Gruppe oder ein Solist mehrfach die Möglichkeit hat aufzutreten und man so vergleichen kann. In der Anfangszeit war es sehr schwierig. Bei diesen Projekten haben wir große finanzielle Verluste gehabt. Seit zwei, drei Jahren bekommen wir ein festes Geld von der Berliner Festspiele GmbH und so sind wir in der Lage, Dinge verwirklichen zu können, die uns inhaltlich vorschweben. Wir können jetzt Leute einladen, die dann auch verbindlich bezahlt werden, während wir früher lediglich Fahrtkosten und Hotel bezahlen konnten. In den letzten Jahren hatten wir unheimlich Glück, dass das oftmals schlechte Programm der Jazztage uns scharenweise das Publikum ins Haus getrieben hat.

Jänichen: Nun findet das Total Music Meeting ja immer parallel zu den Jazztagen im November statt. Es gibt doch sicher viele Leute, die sich für beide Veranstaltungen interessieren, aber oft aus zeitlichen Gründen überfordert sind, weil die Konzerte in der Philharmonie noch andauern, während die Konzerte im Quartier Latin schon lange laufen. Davon abgesehen ist es ja unmöglich, soviel Musik überhaupt noch zu verarbeiten.

Gebers: Trotz des Zuschusses müssen wir kommerziell arbeiten. Wenn wir das Total Music Meeting vorher oder später machen, würden wir ein paar Leute nicht im Publikum sitzen haben, auf die wir auch verzichten können, größtenteils Journalisten, die am Tresen im Saal lehnen und sich unterhalten, möglichst noch an den leisesten Stellen. Zum anderen aber würden wir einigen die Chance nehmen, sowohl das, was in der Philharmonie passiert, als auch unsere Musik zu hören. Glücklicherweise sind wir ja nicht mehr, wie in der Anfangszeit, darauf angewiesen, dass nachts die Leute aus der Philharmonie zu uns kommen. Inzwischen sprechen wir auch einen festen Kreis an, der sich für unsere Dinge interessiert, aber auch zu speziellen Programmpunkten bei den Jazztagen geht. Außerdem kommt eine Menge Zufallspublikum von den Jazztagen zu uns, das oftmals zum ersten Mal in dieser Konsequenz eine solche Musik hört und erlegt. Ein wesentlicher Aspekt dieser Veranstaltung ist auch der, dass die Musiker immer da sind, d.h., dass man mit ihnen reden kann. In der Anfangszeit war es Bestandteil unserer Absprachen und Verträge, dass die Musiker auch dann, wenn sie nicht spielen, anwesend sein sollten, um die Möglichkeit zu geben, mit dem Publikum zu reden. Wir wollen weiter beim Termin der Jazztage bleiben, weil wir damit gute Erfahrungen gemacht haben.

Jänichen: …als Alternativfestival…?

Gebers: Ein Beispiel: Es gibt in Europa eine hervorragende Pianistin, Irene Schweizer, die bisher einmal, 1967, bei den Jazztagen gespielt hat. Wir haben sie dagegen seitdem beharrlich immer wieder in Berlin vorgestellt. Eine Pianistin wie JoAnne Brackeen spielt zweimal bei den Jazztagen, in unmittelbarer Folge, musikalisch völlig unbegründet, denn einmal hätte ausgereicht; innerhalb von drei Jahren konnte man sie inzwischen in Berlin viermal hören. Ich frage mich, ob es richtig ist, dass eine Frau wie Irene Schweizer überhaupt keine Chance mehr erhält, bei den Jazztagen zu spielen, weil die Veranstalter solche Leute anscheinend nicht mehr ernst nehmen, oder auch die Qualität von Irenes Musik nicht mehr mitkriegen. Aus diesen Gründen nehmen wir die Berechtigung für unsere Veranstaltung. Wir müssen sie machen, nach wie vor. Das Echo von Leuten, die die Veranstaltung besuchen, darüber schreiben, reden, gibt uns im Übrigen Recht.

Jänichen: Eine andere Veranstaltung der FMP ist der Workshop Freie Musik. Im Zusammenhang mit dem Wort Workshop werde ich immer wieder gefragt, warum bei euren Veranstaltungen Musikern von draußen nicht die Möglichkeit geboten wird, einmal mit euren Musikern zu arbeiten.

Gebers: Der Begriff Workshop wurde wohl erstmals von Mingus für seine Gruppen und seine Arbeitsweise benutzt, daher kam auch unsere Idee. Darüber hinaus ist in Berlin zurzeit Workshop etwas ganz hippes. Es gibt Wokshop für Bewegungen, Sprechen, Gesundbeten, Ernähren usw., davon möchte ich mich vollends distanzieren. Wir beziehen Workshop immer auf eine Veranstaltung, bei der man Arbeitsprozesse erlebt und wo man die Möglichkeit hat, die Produzierenden anzusprechen. Der Workshop-Charakter ist bei uns dadurch gegeben, dass die Musiker hier anders arbeiten als bei den üblichen Festivals. Eine andere Vokabel sollte man auch noch nennen: "alternativ". Beim Total Music Meeting haben wir es vor zwei Jahren herausgenommen, weil uns diese ganze Alternativ-Szene dermaßen suspekt wurde, dass wir gerade weil wir uns als echte Alternative verstehen, nicht damit in einen Topf geworfen werden wollten. Und wenn es mit der Workshop Vokabel so weiter geht, werden wir sie wohl auch weglassen. Darüber hinaus führten wir natürlich auch Projekte durch, bei denen Hörer beteiligt waren, das war in den Jahren 1971, 72 und 74 - allerdings mit Kindern. Wenn man aber so eine Sache nicht kontinuierlich macht, ist nur ein Effekt zu erreichen, an dem uns nichts gelegen ist. Es müsste dann über einen längeren Zeitraum realisierbar sein.

Jänichen: Eine eurer wichtigsten Veranstaltungen war wohl die mit Musikern aus der DDR. Wie kam es denn dazu?

Gebers: 1972 haben wir einmal drüben angerufen und haben uns dann mal getroffen. Brötzmann, Schlippenbach, Kowald, Rutherford, Parker haben dort dann auch gespielt und so bauten sich langsam Kontakte auf. Wenn man die Musiker und die Musik kennen gelernt hat, bemerkt man logischerweise auch ihre Qualitäten. Wir hatten die Absicht mit den DDR-Kollegen Platten zu machen und sie bei unseren Konzertprojekten vorzustellen. Die Platten konnten relativ schnell erscheinen. Bei den Konzerten hat`s eben ein bisschen länger gedauert.

Jänichen: Das klingt alles ganz einfach. War es das auch?

Gebers: Es schwirren bei uns viele Missverständnisse herum, dass es unglaublich schwierig sei, mit den Leuten in der DDR klarzukommen. Das können wir nicht sagen. Wir konnten unsere Plattenprojekte mit sehr großem Entgegenkommen der Rundfunkleute realisieren und mit der Künstleragentur der DDR, jetzt eben diese Konzerte. Wir werden da auch weiterarbeiten.

Jänichen: Was waren für dich so die wichtigsten Erkenntnisse bei der Jazz-aus-der-DDR-Veranstaltungsreihe?

Gebers: In verschiedenen Punkten gibt es doch andere Ansätze, als bei westeuropäischen Musikern. Dazu kommt ein spezieller Effekt, der sehr interessant ist: Wenn man zurückdenkt, da gab es vor zehn fünfzehn Jahren zwei sozialistische Länder mit besonderem Jazz-Schwergewicht - Polen und die CSSR. Heute kommt aus diesen beiden Ländern nur noch nachgemachte amerikanische Jazzmusik. Es ist nichts mehr von dem vorhanden, was in der Frühzeit Leute wie Krzysztof Komeda oder Tomasz Stanko machten. Dagegen hat in den letzten drei, vier Jahren in der DDR die Qualität des Jazz und seiner Musiker gewaltig an Profil gewonnen. Neben Musikern wie Petrowsky, Sommer, Gumpert, Hering, Koch, Bauer und vor allen Dingen dem Trompeter Heinz Becker, gibt es, nach meinen Informationen, in den sozialistischen Ländern nur noch ein hervorragendes Trio in der Sowjetunion, das Ganelin Trio. Die Situation in der DDR hat natürlich viel mit dem dortigen Gesellschaftssystem zu tun. Die Musiker dort haben einen anderen Status als bei uns. Sie sind ökonomisch integrierter, genießen all die sozialen Einrichtungen und haben eine ganze Menge zu spielen .Auch sind sie aus diesem Grund in der Lage, konsequenter an ihrer Musik zu arbeiten.

Jänichen: Was habt ihr für die Zukunft für neue FMP Projekte geplant?

Gebers: Es gibt bei uns stapelweise Konzepte. Besonders bemühen wir uns um ein eigenes Haus, in dem man unabhängig Programme macht, wo Probenräume vorhanden sind, auch Seminarräume, Studios usw. Wenn das geschafft ist, sollen Stipendien an Nachwuchsmusiker vergeben, werden, die hier einmal 14 Tage arbeiten können. Das Ganze ist natürlich sehr teuer und man hat es sehr schwer, für solche Unternehmungen Geld zu bekommen, weil die Subvention von Theaterm, Oper u.a. ungerechtfertigten Vorrang hat.

Jänichen: Wenn du auf die zurückliegenden zehn FMP-Jahre blickst, würdest du so etwas noch einmal auf dich nehmen?

Gebers: Ich glaube nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass ich schon so etwas Ähnliches gemacht hätte, weil mich das alles interessiert. Aber wahrscheinlich reduziert auf eine Gruppe; ich hätte auch vieles weggelassen, was heute richtigerweise Bestandteil unserer Arbeit ist, z.B. Großveranstaltungen wie das Total Music Meeting oder der Workshop Freie Musik.

Aus: Jazz Podium Nr. 10, Oktober 1979

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