Patrik Landolt (1993)Die FMP als Zentrum der zeitgenössischen JazzentwicklungHeute werden Musiker aus dem Umfeld der Berliner FREE MUSIC PRODUCTION (FMP) - der Bassist Peter Kowald, der Saxofonist Peter Brötzmann, der Pianist Alexander von Schlippenbach, der Gitarrist Hans Reichel, um nur ein paar Namen zu nennen - zu den wichtigen Erneuerern des Jazz gezählt. Bis in die frühen 70er Jahre waren es ausschließlich die Namen amerikanischer Musiker, die für die Musik stehen, die Jazz genannt wird: Duke Ellington, Thelonious Monk, Charlie Parker, Ella Fitzgerald, Billie Holiday, John Coltrane, Miles Davis, Albert Ayler, Ornette Coleman... Die Entwicklung des Jazz wurde von den Musikchronisten in zeitlich begrenzte Jazzstile gefasst und in den kulturellen Zusammenhang der USA gestellt. Ende der 60er Jahre, Anfang der 70er Jahre begann eine neue Entwicklung, welche der Schriftsteller und Musikpublizist Wilhelm E. Liefland schon damals als einen „radikalen Bruch in der Jazzmusik“ deutete. Die mit den Avantgardebewegungen einsetzende Verfügung über künstlerische Verfahrensweisen verschiedener Kulturen, Genres und Epochen leitete eine Öffentlichkeit ein, die den Jazz veränderte. Statt einer linearen Fortentwicklung gibt es heute im Jazz ein nebeneinander verschiedenster Stile und Innovationsrichtungen. Was zum Beispiel die Pioniere aus dem Umfeld der FMP Ende der 60er Jahre einleiteten, hat sich bis heute zu einer vielfältigen, weit ausdifferenzierten Musik entwickelt: Eine erste Bestandsaufnahme von „Europas Jazz 1960 bis 1980“ (Fischer Verlag), die der Musikwissenschaftler und Saxofonist Ekkehard Jost schrieb, stellt mehr als fünfzig international anerkannte Musiker und Musikerinnen vor. "Jazz, seiner Herkunft nach ein afroamerikanisches Idiom, hat sich zu einer musikalischen Weltsprache entwickelt", fasst der Musikpublizist Bert Noglik in seinem Buch „Klangspuren.Wege improvisierter Musik“ (Fischer Verlag) den Prozess der letzten 20 Jahre zusammen. Das Berlin der FMP ist eines der bedeutendsten Zentren, welches diesen Prozess ermöglicht hat und darin dem „Big Apple“ New York den Rang abzulaufen droht. Die FMP ist wesentlich an der Entwicklung dieser Musik beteiligt. Mit ihren zwei Standbeinen Konzerte/Festivals und Platten-/CD-Produktion hat sie die Entfaltung der zeitgenössischen Jazzmusik in Europa deutlich mitgeprägt. Die Ausstrahlung ist groß. Es sind zahlreiche Gründe zu nennen, welche als Ganzes die Bedeutung der Free Music Production ausmachen: 1. Produktion und Dokumentation von aktueller Musikgeschichte 2. Kontinuität und Erfahrung 3. Berlin als Zentrum 4. Weltweiter kultureller Austausch 5. Eigeninitiative und Sachkenntnis Ohne Zweifel darf heute mit Recht gesagt werden, dass FMP für die Entwicklung der heutigen Jazzmusik einen äußerst wichtigen Beitrag erbringt. Es ist nicht zuletzt auch die Leistung von FMP, dass Namen von Musikern wie Peter Brötzmann, Peter Kowald, Hans Reichel, Alexander von Schlippenbach, Rüdiger Carl, Albert Mangelsdorff, Paul Lovens heute in der internationalen Musikwelt einen Begriff darstellen und zu den Großen des heutigen Jazz gezählt werden. Gleichzeitig ist es FMP zu verdanken, dass in der Musikwelt von Zürich über London, Prag über Moskau, New York bis Tokio die Stadt Berlin als ein Zentrum der Offenheit, des internationalen Austausches und der künstlerischen Innovation bekannt ist.
aus einem Faltblatt der FREE MUSIC PRODUCTION (FMP) 1993/94 © |