Hannes Schweiger (1999)

EUROPEAN ECHOES OF A LIVING MUSIC

As time goes by. Jubiläen haben immer diesen sentimentalen Beigeschmack und sind a priori nicht übermäßig aussagekräftig. Sie zu feiern ist jedoch ein gesellschaftliches Ritual. Entscheidend hinter jeder Idee, bleibt aber das Engagement und die Konsequenz. Wenn dies über einen derart langen Zeitraum anhält, wie in vorliegendem Falle, ist dies dennoch eine Bewunderung abringende Sache, die Beachtung verdient.

Wohl kein anderes Label ist in den letzten drei Dekaden des ausgehenden 20. Jahrhunderts so unmittelbar mit der Entwicklung der europäischen Free Music/Improvisierten Musik in Verbindung zu bringen, wie die 1968 ins Leben gerufene Plattenfirma Free Music Production, kurz FMP. Doch nicht nur hinsichtlich der Produktion von Tonträgern mit frei improvisierter Musik hat FMP eine Vorreiterrolle eingenommen, sondern auch betreffend der Organisation von Konzerten und Festivals mit Musikern dieses Zirkels. Namen wie Brötzmann, Kowald, Schlippenbach, Reichel u.v.a.m. sind untrennbar mit FMP verbunden. Die seit 1968 als Alternative zu den mit Staraufgeboten der Mainstream gespickten Jazzevents veranstalteten Konzertreihen "Total Music Meeting" und folglich "Workshop Freie Musik", sind aus der europäischen Veranstaltungslandschaft nicht mehr wegzudenken und gelten heute als eine der wichtigsten internationalen Präsentationsforen improvisierter Musik. Zudem hatte das Auftauchen der FMP die Gründung ähnlicher Initiativen innerhalb Europas zur Folge (ICP, BvHAAST, Incus).

Doch zurück zur Tonträgerproduktion. Gegründet als Kooperative, nicht von ungefähr zum Zeitpunkt der europäischen Studentenbewegungen 1968, um die bereits erwähnten Musiker Brötzmann, Kowald, Schlippenbach und Jost Gebers (er spielte damals noch Bass) , stellte es sich FMP neben den Konzertaktivitäten zur Aufgabe, anhand von Tonträgern auf unabhängige Weise europäische, frei improvisierte, akustische Musik zu veröffentlichen. Der Löwenanteil der Aufnahmen, und daran hält man bis heute fest, entstand bei den Konzertveranstaltungen. Jost Gebers, der alsbald sein Instrument beiseite legte, nahm in Personalunion als Produzent, künstlerischer Leiter und Tontechniker fortan die Geschicke von FMP in die Hand. Später kam Dieter Hahne, der sich um die kaufmännischen und organisatorischen Belange kümmert, hinzu. Bis dato ist FMP keine Plattenfirma nach gängigem Muster und als Non-Profit Unternehmen konzipiert. 1969 erschien die erste LP mit dem Manfred Schoof Orchestra, in dem fast alle namhaften freien Improvisatoren jener Zeit vertreten waren. Titel: European Echoes. Dieser unterstrich das anfängliche Hauptaugenmerk, das auf der Dokumentation der Entwicklung der europäischen (deutschen) Free Music lag. Kooperation mit ähnlich denkenden oben erwähnten Organisationen und deren MusikerInnen in Europa, stellten sich alsbald ein und unterstrichen die internationale Bedeutung der FMP-Familie. Einer ihrer weiteren großen Verdienste war, dass sie als erste, und dies bereits in den 70erJahren, mit Hilfe der Musik symbolisch die Mauer niederrissen und Kontakt bzw. Austausch mit den kompromisslosen Improvisatoren der ehemaligen DDR pflichten und deren Musik erstmals im Westen veröffentlichten. Apropos international: Der Kontakt zu amerikanischen Innovatoren konnte nicht ausbleiben. Einer der ersten, der zum FMP-Zirkeln stieß war Steve Lacy. Es folgten Projekte mit Frank Wright, Noah Howard, Andrew Cyrille u.a. Diese Initiativen gipfelten in der 1986 begonnenen Zusammenarbeit mit dem Phänomen Cecil Taylor. Bis heute ist die Zusammenarbeit mit herausragenden amerikanischen Persönlichkeiten ein wichtiger Aspekt in der Veröffentlichungspolitik von FMP, und sie bot diesen in ihrem Heimatland jahrelang von den Plattenfirmen negierten Musikern die Möglichkeit für unabhängige Plattenproduktionen. Der Austausch Europa - Amerika, das von solch charismatischen Persönlichkeiten wie z.B. Butch Morris, Sam Rivers, Charles Gayle, William Parker repräsentiert wird, ist auf einer Fülle von CD`s dokumentiert. Höhepunkt war bisher die grandiose 11 CD`s umfassende Edition von Cecil Taylors mehrmonatigem Stipendiat in Berlin im Jahre 1988. Hiermit wurde der Beziehung zwischen alter & neuer Welt eine völlig neue Bedeutung und Dimension erschlossen. Diese Edition erhielt den Preis der deutschen Schallplattenkritik und Jost Gebers wurde für seinen, wie es in der Begründung der Jury hieß, langjährigen Einsatz als Produzent von Jazz-Schallplatten die Ehrenurkunde 1990 zuerkannt. Ende 1991 stellte FMP die LP-Produktion zugunsten der CD völlig ein und auch das LP-Archiv wurde aufgelöst. Etliche der alten Platten werden bereits zu Liebhaberpreisen gehandelt. Doch ab und an werden, nach Gebers Dafürhalten, legendäre Aufnahmen auf CD wiederveröffentlicht. Der CD-Katalog umfasst mittlerweile über 100 Produktionen (inklusive der zweiten Veröffentlichungsschiene FMP OWN, auf der Künstler die Möglichkeit zu Eigenproduktionen haben). Mit den Möglichkeiten der CD kann jetzt noch effizienter dem "Work in Progresss"-Charakter improvisierter Musik Rechnung getragen werden und auch mit dem optischen Erscheinungsbild geht FMP eigene ästhetische Wege.

Einen "Ball Pompös" wird es angesichts des Jubiläums nicht geben. Das wäre nicht FMP-Stil. In aller Bescheidenheit wird über künftige Projekte und Produktionen gebrütet werden. Kurzum ist davon auszugehen, dass uns FMP, New Movements folgend, auch weiterhin mit Pearls verwöhnen wird - Hörmusik, die Always A Pleasure ist. Ganz im Sinne von Wie das Leben so spielt.

 

aus: JAZZ LIVE, Nr. 125, 1999

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