Carina Prange (1999)

Free Music Production
30 Jahre Einsatz für die Freie Musik

Es grenzt immer wieder an ein kleines Wunder, dass es die Free Music Production noch gibt. Über all die Jahre hat Jost Gebers nie aufgegeben, trotz aller Tiefschläge immer wieder einen Weg gefunden, auf dem es sich weitergehen ließ. - Einst als Initiative europäischer Free Jazzer gegründet, die sich gegenseitig in ihrem Tun unterstützen und effektiver zusammenarbeiten wollten, ist die FMP heute ein Gebilde, das nicht nur den Musikern der ersten Stunde die Treue hält, sondern ebenso junge Talente aus Europa und Künstler aus dem außereuropäischen Bereich als weitere Säulen mit einbezieht.

Die Free Music Production ist einerseits Veranstalter (jeweils einmal jährlich: Total Music Meeting und Workshop Freie Musik), Organisator und Lobby der in sie integrierten Musiker, andererseits gibt es seit 1969 ein eigenes Label mit inzwischen über hundert Veröffentlichungen. Zusätzlich wurden auf dem mit der FMP eng verbundenen holländischen (?) Label SAJ gemeinsame Werke vorgelegt. Es gelingt sicher nicht, mit einer einzigen Plattenfirma das ganze Spektrum des europäischen Free Jazz abzudecken - bei der geringen Anzahl der Mitarbeiter und überhaupt immer dann, wenn auf der Grundlage von Qualität eine Auswahl getroffen werden muss, spielen subjektive Entscheidungen, Kontakte etc. eine wichtige Rolle. Daher ist das, was bei der FMP veröffentlicht wird, stets ein Ausschnitt von dem, was wirklich vorhanden ist: Aber durchaus ein repräsentativer!

Warum überhaupt ein eigenes Label gegründet wurde? Entscheidend ist die Möglichkeit des nochmaligen Hörens, des besser Verstehens von improvisierter Musik, die ansonsten nur eine Momentaufnahme im Augenblick des Spielens darstellt. Auf Grund der spontanen, nicht notierten Spielweise wäre sie andernfalls für immer verloren, also nie mehr nachvollziehbar. Denn Improvisation ist etwas, das nicht nur aus dem Moment heraus entsteht, sondern selbst dann, wenn dieselben Personen in derselben Konstellation erneut miteinander spielen, werden sie nicht noch einmal etwas Äquivalentes zustande bringen können.

Diejenigen Musiker, die mit viel Enthusiasmus in der Anfangszeit dabei waren, haben oft den größten Teil ihrer Platten über die FMP produziert. Zufrieden sind sie aber nicht mit der Situation, in der sich die Freie Musik in Deutschland befindet. Peter Brötzmann ist der Meinung, dass „es überall besser ist als in Deutschland.“ Auch wenn man wahrnimmt, dass der Anteil derjenigen, die Jazz-CDs in ihren Schränken stehen haben und gelegentlich sogar auf Jazzkonzerte gehen, in den letzten Jahren zugenommen hat, - für den Bereich des Freien Jazz hat das kaum eine Bedeutung. Hier fehlt weitestgehend - außer bei einer bereits schon vorhandenen eingefleischten Fan-Gemeinde - das „flächendeckende“ Interesse und erst recht die Unterstützung durch die örtlichen Medien. Die sind mit actiongeladener Pop-, Rock-, Techno- und Rap-Musik so ausgelastet, dass ihnen - zusätzlich verstärkt durch die schlechtere Finanzlage vieler Presseorgane - die Zeit fehlt, sich spezialisiert mit Jazz zu beschäftigen. Und so kennt sich niemand dort richtig damit aus - schon gar nicht mit Free Jazz. Das Thema fällt demzufolge unter den Tisch.

„Freie“ Musik ist frei von Einschränkungen, frei von althergebrachten Normen. Versucht man den Begriff der Freiheit zu definieren, kommen einem Gedanken in den Sinn an „losgelöst sein“, ohne Grenzen kreativ sein. Und genauso versteht sich auch die Free Music Production; dabei kann sie jedoch nicht ganz frei sein vom Einfluss des Kommerzes - aber sie kann lernen, in einem Randbereich „frei“ von den Bestimmungen des Marktes zu agieren. Sie kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, die Bandbreite ihrer Veröffentlichungen stilistisch auszuweiten. Aber die Musik ist natürlich nicht frei von der Tradition oder Schule, aus der die jeweiligen Musiker kommen. Davon fließt stets etwas mit ein und findet dann in einem anderen Kontext eine neuartige Verwendung.

Und das ein oder andere Highlight hat es gegeben, das durchaus von „der Welt“ wahrgenommen wurde: So hat die Einspielung von Cecil Taylor mit Musikern in Berlin im Jahre 1988, die gleich als Edition mit elf CDs in Produktion ging, nicht nur einen Meilenstein für Taylors Musik bedeutet, sondern auch viele neue Entwicklungen in Gang gebracht. Für diese Einspielung gab es viel Lob und sie erregte großes Aufsehen in Jazzkreisen. Eine durchaus nicht mehr „nischenbehaftete“ Auszeichnung erhielt Jost Gebers im Zusammenhang mit dieser Produktion 1990: Ihm wurde der Preis der Deutschen Schallplattenkritik für seinen „langjährigen Einsatz als Produzent von Jazz-Schallplatten“ verliehen.

Wenn man von der FMP spricht, darf man auch heute niemals vergessen, dass sie schon im Jahre 1973 Musiker aus der damaligen DDR mit einbezog, und wie fruchtbar sich diese Verbindung in den Jahren danach und natürlich auch bis heute entwickelt hat. Hier wurde ein Beispiel gegeben, das nicht genug anerkannt werden kann. Es gäbe noch viel zu sagen, aber viele Worte sind oft zu viele, und hier spricht die Institution für sich selbst.

Dreißig Jahre Free Music Production erinnern uns daran, wie alt der europäische Free Jazz schon ist, und dass er dennoch immer wieder Neues hervorbringt. Dreißig Jahre Free Music Production sind aber auch eine Mahnung daran, ihn endlich mehr zur Kenntnis zu nehmen, das Tun - in erster Linie eines einzelnen Mannes: Jost Gebers - anzuerkennen, der sich von Riesen der Plattenindustrie und dem ständigen Kampf gegen Widrigkeiten aller Art nicht hat klein kriegen lassen. Und dreißig Jahre FMP sind auch einen Blick in die Zukunft wert, in ein neues Jahrtausend, in dem auch der Free Jazz weiterhin eine Nische, einen Platz, eine Lobby braucht.

aus: Jazz Podium # 12, Dezember 1999

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