Bert Noglik (2010 )

Instant Coffee im August

Ein Zitat von Eric Dolphy im Nacken: “When you hear music, after it's over, it's gone, in the air. You can never capture it again.” Free Jazz Musiker, die Balancekünstler des Flüchtigen. Free Music Produzent, Feldarbeiter an den Schnittstellen der Paradoxien. Festhalten, was für den Augenblick geschaffen wurde und was man dem Verfallsdatum entziehen will. Aber auch vorstellen, zusammenbringen, initiieren, anstoßen. Über die Free Music Production, die über sich selbst wenig Erklärendes veröffentlicht hat, ist erstaunlich viel zu Papier gebracht worden. Und das, obwohl man sich mit jedem Satz in die Gefilde des Risikos begibt.

Wildhäger im Februar, geschrieben 1988 und nachzulesen auf der Website der FMP, ist meines Erachtens der beste Text, den ich über die FMP geschrieben habe. Jost Gebers hätte gern einen neuen, einen weiteren. Wieder schiebe ich das Schreiben bis an das äußerste Ende des Termins, in der Hoffnung, dass der Druck die Türen zum Schreiben öffnet. „Wildhäger im Februar“ entstand aus der Nähe, das Folgende eher aus einer retrospektiven Distanz. Stimulans zum Vergegenwärtigen: Pulverkaffee für den klaren Kopf und eine Platte mit Peter Brötzmann, Harry Miller und Louis Moholo. Harry, schon lange von uns gegangen. Louis, erst kürzlich wieder getroffen. Brötzmann beständig on tour, präsent. Die Drei aus dem Lautsprecher: der Klang einer verschworenen Gemeinschaft. Die Stimme von Louis im Ohr, was denn erreicht worden und was denn das Bleibende sei, flüsternd und geradezu beschwörend: „Free Jazz, free jazz…“

FMP - im Rückblick. Das klingt nach einem abgeschlossenen Kapitel. Natürlich, das wissen wir, wenn wir an das Weiterleben dieser Musik denken, ist es das nicht. Bezogen auf die Leistung von Jost Gebers, die Veranstaltungen, die Produktionen und Platten, ist es das schon. Ein Lebenswerk, dokumentiert mit unzähligen Platten, reflektiert in zahlreichen Studien und Essays, weiterwirkend als Impulsgeber.

Mich an das Phänomen FMP herantastend, rekapituliere ich (in gewiss subjektiver Zusammenfassung und unumgänglicher Vergröberung) Allgemeinplätze. Das Entstehen der FMP markiert einen markanten Punkt in der Selbstfindung des europäischen Jazz. Die Abnabelung von den amerikanischen Vorbildern und die innere Dynamik, die nach immer größerer Freiheit verlangte, trugen ebenso dazu bei wie das damalige kulturelle und politische Klima in der Bundesrepublik Deutschland. Musikalische Protagonisten wie Peter Brötzmann, Alexander von Schlippenbach und Peter Kowald trieben nicht nur die musikalische Entwicklung voran; sie engagierten sich auch dafür, die Präsentations-, Produktions- und Vermittlungskanäle selbst in die Hand zu nehmen.

1968. Kein Zufall, dass im heißen politischen Jahr 1968 das Total Music Meeting aus der Taufe gehoben wurde, für dessen Idee und Realisierung Peter Brötzmann und Jost Gebers verantwortlich zeichneten. Im Jahr darauf, zu Ostern, entstand die zweite langjährige Veranstaltungsreihe, der „Workshop Freie Musik“ und im September 1969 die Free Music Production. Jost Gebers, der beim ersten Workshop Freie Musik als Bassist mit der Donata Höffer Group auftrat, widmete sich fortan gänzlich den Geschicken der FMP. Mit viel Kraft und Geschick verstand es Gebers zwischen den Musikerinteressen zu vermitteln und dennoch der FMP eine Richtung, ein Konzept, eine „Linie“ zu geben. Die Kräfte hinter der FMP waren die nur bedingt auf einen gemeinsamen Nenner zu bringenden Intentionen der Musiker. Doch erst der im Hintergrund steuernden Kopf Jost Gebers hat die FMP in der kulturellen Wahrnehmung nach vorn gebracht: durch Signifikanz und Nachhaltigkeit. Er war gleichermaßen „Dienender“ und „Macher“, und auch insofern ständig auf eine Zerreißprobe gestellt.

Zu den Produktionsgrundsätzen der Free Music Production zählten die Nähe zu den Musikern/Musikerinnen, die neben der Studio-Arbeit bevorzugte Live-Kommunikation zwischen Akteuren und Publikum, die weitgehend „naturtreue“ Aufzeichnung sowie der Workshopgedanke. Bei letzterem ging es darum, die Musik nicht in ihrer mehr oder weniger vorgeprägten Gestalt zu präsentieren, sondern durch entsprechende Konzertarrangements, Mehrfachauftritte und/oder bewusst initiierte Begegnungen bzw. offen gehaltene Begegnungsmöglichkeiten, musikalische Prozesse in Gang zu setzen, „neue“ Musik entstehen zu lassen.

Ästhetische Programmatik. Die inhaltliche Ausrichtung der Free Music Production definierte sich durch die in sie involvierten Musiker, deren Konzerte, Workshops und die (im wesentlichen von Jost Gebers realisierten und verantworteten) Plattenproduktionen. Es gab und gibt kein verbal formuliertes Programm. Wenn man sich die Vielzahl der involvierten Namen und die mit diesen verbundenen Individual- und Gruppenstile vergegenwärtigt, wird bewusst, dass es nur sehr bedingt eine gemeinsame ästhetische Plattform geben konnte. Am Anfang stand die Achse Köln/Ruhrgebiet - Berlin. Seit den Anfangsjahren suchten die den Kern der FMP bildenden Musiker den Kontakt zu Musikern/Musikerinnen in der Schweiz, in Holland, in England und wo sonst sich Vergleichbares auftat. Was zu Beginn noch relativ überschaubar anmutete, wuchs sich im Laufe der Jahre zu weit verzweigten Netzwerken, wobei es durchaus auch Abspaltungen gab, indem sich Musiker auf andere, eigene Vermittlungskanäle konzentrierten oder ergänzend für diese aufnahmen, beispielsweise für Incus, Matchless, I.C.P., BVHAAST, Birth, Po Torch Records und eine Vielzahl von Kleinlabeln, später auch Intakt etc. Weit über die ersten Jahre hinaus war es aber durchaus das (unausgesprochene) Anliegen der FMP die wichtigsten Protagonisten der freien europäischen Improvisationsmusik in Konzerten und Workshops zu präsentieren und auf Platten zu dokumentieren.

„European Echoes“, die LP mit dem Manfred Schoof Orchestra stand logisch und beinahe programmatisch am Anfang – Aufnahmen mit einer Großformation, die viele der damals mit der FMP verbundenen Musiker in sich vereinte. Blickt man allein auf die ersten zehn Jahre der FMP zurück entdeckt man einen genialen Eigenbrötler wie Hans Reichel, die ersten Übernahmen bzw. Produktionen, an denen Jazzmusiker aus der DDR beteiligt waren, eine Soloplatte von Gunter Hampel und eine von Karl Hans Berger, auf dem SAJ-Label auch Americans in Europe wie John Tchicai und Steve Lacy sowie die Duos Willem Breuker / Leo Cuypers und Heiner Goebbels / Alfred Harth, Michel Waisvisz mit Live-Electronics und vieles andere. Der „Hauptstrom“ der FMP im ästhetischen Sinne bildeten jedoch die unterschiedlichen Spielkonstellationen von und mit Peter Brötzmann sowie die diversen Formationen des Globe Unity Orchestra. Im Mittelpunkt stand akustische, frei improvisierte Musik, die nicht nur dem Selbstverständnis nach innovativ und europäisch orientiert war, sondern die sich auch tatsächlich klingend vom amerikanischen Jazz zu unterscheiden wusste. Einschneidend und als eine wirkliche Trennlinie wirkte die Abgrenzung von jeglicher Art eines elektrifizierten Jazzrock, auch wenn sich dieser in experimentelle / innovative Bereiche bewegte. Wenn die FMP eine Antwort aus Europa formulierte (so beispielsweise kann man den Titel „European Echoes“ verstehen), dann bezog sie sich auf die Free-Jazz-Entwicklung in den USA, fand aber eine neue Fundierung im eigenen Umfeld. Aus dieser Spannung - einerseits Bezug zum amerikanischen Jazz, andererseits bewusste Entgegensetzung - erwuchs eine eigene Dynamik.

Jazznähe. Zwischen Jazzferne (sich zuweilen in den Klangbildern der neuen Musik annähernde „improvised music“) und Jazznähe (Beibehaltung eines gewissen Grundgestus des Jazz) tendierte die Free Music Production mehrheitlich zu einer Spielhaltung, die im rhythmischen Spannungsgefüge sowie in der Expressivität der Tonbildung und Phrasierung durchaus eine Affinität zum Jazz beibehielt. Nach der „Kaputtspielphase“, so nannte Peter Kowald bekanntlich das temporäre Zertrümmern des ästhetischen Koordinatensystems, sind eine Vielzahl unterschiedlicher Wege beschritten worden, die es rechtfertigen von einem europäischen Free Jazz zu sprechen. Mit Abstand betrachtet, erscheint mir das Spiel / die Musik von Peter Brötzmann den „Geist“ der FMP am prägnantesten auszudrücken. Mit dem Oktett „Machine Gun“ von 1968 war der kollektive instrumentale Schrei zum Manifest geworden. Aber Peter Brötzmann ließ in der Folge keinen Zweifel an den Differenzierungsmöglichkeiten dieses „Schreis“. Der Titel des Albums „14 Love Poems“ klingt programmatisch. Ausgerechnet der europäische Free-Jazz-Musiker, dessen Spiel sich am meisten mit Power und Energie assoziierte, demonstrierte (auf seine Weise) poetische Innigkeit. Dass sich Peter Brötzmann in Interviews auch auf Billie Holiday bezogen hat, erscheint ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, dass „die Wuppertaler“, Peter Brötzmann ebenso wie Peter Kowald, auch einen engen Bezug zur aktuellen bildenden Kunst einbrachten. Brötzmann hatte Nam June Paik assistiert. Sowohl Fluxus als auch Kunstauffassungen wie die von Joseph Beuys wirkten indirekt in die Musik hinein. Beinahe ausnahmslos ist die Beschäftigung der um die FMP gescharten Musiker mit der Jazztradition, wobei das Bekenntnis zu dieser mitunter unterdrückt, oftmals aber auch ostentativ hervorgehoben wurde. Als unter bestimmten „Improvisationsmusikern“ der Spruch „Jazz, nein danke!“ kursierte, setzte Alexander von Schlippenbach dem ein demonstratives „Jazz, ja bitte!“ entgegen. Mit dem Begriff „Free Jazz“ ist viel Unfug getrieben worden. Nicht nur ernsthafte Musiker, sondern auch Scharlatane haben sich ihn zunutze gemacht. Zudem bestand - wie bei allen Begriffen - die Gefahr, mit dem Begriff „Free Jazz“ in eine bestimmte Schublade abgelegt zu werden. Wenn es gelingt, Free Jazz von einer bestimmten (stilistisch geprägten) Vorstellung abzukoppeln, erscheint der Terminus immer noch sinnvoll, ganz in dem Sinne, in dem Evan Parker formulierte: „Free Jazz ist keine historische Phase, sondern eine lebendige Methode.“

Authentizität. Mitunter entstand bei der FMP, wie bei vielen Künstlervereinigungen, der Eindruck eines geschlossenen Zirkels. Und mancher der fragte, musste sich wohl vorkommen wie der Schüler eines Zen-Meisters, der die Antwort erhält, er sei ein Narr, da er frage. Manches bei der FMP erklärte sich aus sich selbst heraus. Und als eine der entscheidenden Größen erscheint mir rückblickend: Authentizität, eine weitgehende Einheit von Leben, Musik und Tun - wichtiger noch als eine musikalische Zugehörigkeit im engeren Sinne. Eine Basis, bestehend mehr noch auf mentaler Entsprechung als auf Konsens im Stilistischen.

Keine Gefälligkeit. Obwohl es schwer und problematisch erscheint, die Vielfalt der musikalischen Ansätze begrifflich zu charakterisieren, kann man doch sagen, was die von der FMP vertretene und verbreitete Musik nicht gewesen ist. Sie war nie angelehnt an kommerziellen Erfolg, sondern immer und ohne Kompromiss an der Expressivität der beteiligten Musiker orientiert. Es ging nicht um die „Ästhetik des Hässlichen“, aber in keiner Weise um etwas Dekorierendes oder Gefälliges. Keine Illusionsmalerei, sondern – sofern das mit Klängen ausgedrückt werden kann – oftmals so etwas wie eine schonungslose Sicht auf die Realität. Zugleich hat auch dabei der Lustfaktor eine Rolle gespielt, kam es zuweilen zu ekstatischen Steigerungen, zu einem von der Aura des Hier und Jetzt umwehten Abheben vom Erdboden. Bestärkend dabei war sicher auch das Gemeinschaftserlebnis in der Ingroup. Und obwohl oder weil die Free-Jazz-Musiker keine Stars wie Unterhaltungskünstler sein wollten (auch keine werden konnten, weil sie nicht in eine Rolle oder in ein Kostüm schlüpften, sondern stets sich selbst darstellten), gab es auch Insider, die in ihnen Idole sahen. Allgemein dürfte die Gruppenzugehörigkeit in Free-Jazz-Kreisen ein gemeinschaftliches „Anderssein“ bestärkt haben – eine oft unausgesprochene mentale Opposition zum musikalischen und gesellschaftlichen „Mainstream“.

Enge und Vielfalt. Außenstehenden erschien die von der FMP repräsentierte Free Music mitunter relativ monochrom. Das Gegenteil erwies sich als wahr. Bei näherer Betrachtung, beim genaueren Hinhören kann man eine erstaunliche Differenzierung der Musiksprachen entdecken - beispielsweise die zwischen der Art wie Alexander von Schlippenbach, Irène Schweizer, Fred Van Hove oder Ulrich Gumpert Klavier spielen. Dutzende anderer Vergleiche könnten herangezogen werden. Gerade die Konzentration auf ein bestimmtes Segment des musikalischen Spektrums hat diese vielleicht unerwartete Vielfalt hervorgebracht. Gewiss repräsentiert die FMP nur Facetten des zeitgenössischen Jazz. Nähme man diese für das Ganze, könnte man von Dogmatismus sprechen. Begreift man hingegen diese Begrenzung als bewusste Konzentration, erkennt man, was für eine Fülle an Besonderem sie hervorgebracht hat.

Das Label ECM ist einen anderen Weg, mit anderen ästhetischen Prämissen gegangen. Dennoch erscheinen beide Label in gewisser Weise vergleichbar – nicht nur, weil beide im gleichen Jahr entstanden sind, nicht nur, weil Manfred Eicher und Jost Gebers vom Musiker zum Produzenten wechselten, sondern auch weil es eine gemeinsame Ausgangsbasis gab: Musik, die im Prozess der Improvisation nach neuen Freiheiten suchte. Von da aus freilich wurden unterschiedliche Richtungen eingeschlagen. Dennoch kann man zwischen den vermeintlichen musikalischen Parallelwelten der beiden Institutionen hier und da Verbindungskanäle entdecken. Überdies sei erwähnt, dass es auch auf der Ebene der Erscheinungsbilder Ähnlichkeiten gibt. Wie ECM hat auch die FMP ihren Produkten vielfach eine Gestaltung gegeben, die einen visuellen Zusammenhang stiftet. Was bei ECM eher einem magisch gestalteten Schönen gleicht, trägt bei der FMP eher Werkstattcharakter.

Noch einmal: Musik und Politik. Kaum Zweifel besteht darüber, dass eine wichtige Anfangsphase der europäischen improvisierten Musik / des europäische Free Jazz eng mit der kulturellen und politischen Aufbruchstimmung in den späten sechziger und in den siebziger Jahren verbunden ist. Die Musik war in der Lage, viele Stimmungen auszudrücken, zu transportieren, zu reflektieren, die damals das - im weitesten Sinne - alternativ orientierte und dem Establishment kritisch gegenüber stehende Publikum wie natürlich auch die Musiker selbst bewegten. In einem Anfang der achtziger Jahre von der FMP veröffentlichten Material schrieb Achim Frost: „In ihren besten Momenten geht diese Musik tatsächlich über das freie, nur intuitiv verbundene Kollektiv der Musiker hinaus, und ist dann vielleicht wirklich die ‚Fiktion einer sozialistischen Gesellschaft’.“ Es erscheint unumgänglich darauf hinzuweisen, dass hier mitnichten die real-existierende Gesellschaft der DDR gemeint ist, sondern eine Alternative zu den beiden, damals diametral positionierten Systemen. In einem ebenfalls von der FMP veröffentlichten Dokumentation „Snapshot - Jazz Now - Jazz aus der DDR“ beschloss Wilhelm Liefland einen fiktiven Dialog mit den Worten: „Ja, das ist Utopie. Wir zeichnen sie mit unseren Instrumenten in den Wind. Alle zusammen.“ Es spricht, wenn man so will, für die Musiker der Free Music Production und für Jost Gebers, dass sie sich in keiner Weise für ein - wie auch immer geartetes - politisches Programm einspannen ließen. „Oppositionelles“ konnte, wer wollte, im Osten wie im Westen dazu denken, ausgesprochen wurde es nicht. Es geht und ging um Musik, frei von Inhalten, die von außen an sie herangetragen werden. Dennoch hatte diese Musik ihre eigenen (unausgesprochenen und schwer verbalisierbaren) „Inhalte“, war sie keinesfalls „l’art pour l’art“. Allein das alltägliche Leben, die Existenz, die durch viele Faktoren geprägte Atmosphäre in West-Berlin machte die Weltkonflikte alltäglich spürbar. Und die Musik, die die FMP verbreitete, war in keiner Weise dazu angetan, systemstabilisierend zu wirken.

FMP und DDR ist ein besonderes Kapitel. Jost Gebers hat sich für die im weitesten Sinne musikalisch verbündeten Jazzmusiker in der DDR eingesetzt, indem West-Musiker (zunächst mit Tagesvisa) in den Osten fuhren, um dort gemeinsam mit ihren Kollegen in der DDR zu spielen, indem Lizenzen angekauft, später auch Konzerte mit Ost-Musikern präsentiert und Platten mit ihnen produziert wurden.
Mit dem so erfreulichen Fall der Mauer sind partiell wohl auch Utopien zusammengebrochen oder in weitere Ferne gerückt. Ich weiß nicht, ob ich zu weit gehe, wenn ich überlege, ob eine bestimmte Art von Free Jazz nicht atmosphärisch zu den Zeiten des Kalten Krieges gepasst hat. Nein, natürlich meine ich nicht, sie hätte dieses Gefühl der Zerrissenheit direkt zum Ausdruck gebracht. Eben weil sie sich in keiner Weise instrumentalisieren ließ, konnte sie überleben, weiterleben und ihren Wert behalten, erneuern. Doch sie hat - je nach Mentalität derer, die sie hören oder spielen - Konnotationen verloren. Das muss nicht, es kann auch heilsam sein.

Innovation und Abnutzung. Dass Klänge, die in einer gesellschaftlichen, in einer kulturellen Situation relativ neu oder gar revolutionär sind, mehr Aufmerksamkeit erregen als bereits bekannte ästhetische Strukturen, liegt auf der Hand. Auch insofern war der europäische Free Jazz der späten sechziger, siebziger und vielleicht auch noch der achtziger Jahre „spannender“ als spätere Entwicklungen. Die Bedeutsamkeit der entwickelten Musiksprachen hängt nicht zuletzt von der Überzeugungskraft der Spielerpersönlichkeiten ab. Da viele von diesen nach wie vor auf der Szene präsent sind, kann diese Musik authentisch erfahren werden. Wird sie mit dem Abtreten dieser Generation „historisch“? Sicher schon deshalb nicht, weil jüngere Musikerinnen und Musiker die Impulse aufnehmen. Doch freilich wiederholt sich die Geschichte nicht, und auch das, was sich künftig auf die FMP bezieht, wird und muss anders klingen.

Alles hat seine Zeit. Sich das klar zu machen, kann Gelassenheit oder Melancholie hervorrufen. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens der FMP schrieb Misha Mengelberg: „Feiern dieser Art sind vielleicht ein wenig gefährlich - man denkt wohl: etwas sei in diesen 10 Jahren geschehen - nicht unmöglich, klar ist man nur etwas näher am Grab.“ Ja nun - alles nur Zeitvertreib? Das ist wohl, letztlich, alle Kunst, der Zirkus ebenso wie die Oper. Aber, so auch der Trost, nicht unmöglich, nicht als Schutzbehauptung aufgestellt, sondern mit Sicherheit anzunehmen, dass etwas geschehen ist.

A Personal View. Die FMP habe ich wahrgenommen: durch die Platten, die - auf zum Teil abenteuerlichen Wegen - in die DDR kamen, durch mit der FMP verbundene Musiker, die im Osten (bei „Jazz in der Kammer“ und dann vornehmlich zu den Veranstaltungen der Jazzwerkstatt Peitz) spielten und die ich seinerzeit umfänglich interviewt habe. Auch Jost Gebers lernte ich bereits in Ost-Berlin kennen, bevor ich im Juli 1988 zum ersten Mal (aufgrund von Josts Einladung) zu einem von der FMP veranstalteten Konzert mit Cecil Taylor nach West-Berlin reisen durfte.
Es war der letzte Abend in der Reihe von Begegnungen Cecil Taylors mit europäischen Schlagzeugern: das Duo Cecil Taylor - Tony Oxley. In der Erinnerung erscheint mir das - obwohl ich ja nur diesen Punkt wahrnehmen konnte - wie ein Gipfel in der Geschichte der FMP. Ein Kreis hatte sich geschlossen. Anfangs waren es „European Echoes“. Nun kam eine Zentralgestalt des amerikanischen Free Jazz nach Berlin, um mit den Musikern aus dem Umkreis der Free Music Production zu spielen. Vielleicht lag etwas zu viel an Vergötterung in der Luft. Denn der europäische Free Jazz brauchte ja schon längst keinen Segen mehr. Und immerhin hatten Spielkonstellationen wie die mit Leo Smith, Peter Kowald und Günter Sommer bereits den interkontinentalen Brückenschlag demonstriert. Aber das Gefühl beim Cecil Taylor Workshop war gut und großartig und auch ein bisschen so, als ob sich eine Ära vollendet.

Jost Gebers sagte mir einmal, er bewege sich als Produzent und Veranstalter immer nur insoweit in Risikobereiche, als er die Verluste in harter Arbeit wieder einholen könne. Gemessen an der genannten Summe, hätte er dafür mehrere Jahre im Bergwerk arbeiten müssen. Jost Gebers war Sozialarbeiter in Berlin und hat seinen Hauptjob, die FMP, in seiner „Freizeit“ betrieben - „oft bis zum Umfallen“, wie Peter Brötzmann anmerkte. Ich stelle mir vor, welcher Motivation es bedurfte, den Kampf um die Realisierung immer wieder aufzunehmen - nach finanziellen Einbußen, nach tätlichen Einbrüchen (derer gab es einige) und, vor allem, auch nach menschlichen Enttäuschungen. In einem Aufsatz über die FMP schrieb Achim Frost: „Die FMP ist ein Non-Profit-Unternehmen, bei dem der Anspruch (keine Gewinne auszuschütten) leider immer wieder mit der Realität (keine Gewinne zu haben) übereinstimmt.“ Nach den vielen „aktiven“ Jahren der Arbeit für die FMP widmet sich Jost Gebers mit viel Energie und Sorgfalt der Dokumentation (in Gestalt von Veröffentlichungen / Wiederveröffentlichungen und einer detaillierte Informationen bereitstellenden Website). Eine Musik, die für den jeweiligen Moment entstanden ist, wird auf diese Weise zuverlässlich dokumentiert. Und obwohl so unterschiedliche Improvisatoren wie Derek Bailey und Keith Jarrett geäußert haben, dass man Platten mit improvisierter Musik zerstören solle, schafft die Aufzeichnung im Bewusstsein zumindest Anhaltspunkte für eine so „flüchtige“ Kunst wie die Improvisation. Auf der imaginären Fahne, die über den Köpfen weht, steht der Satz: Die FMP hat die Epoche des europäischen Free Jazz zum klingenden Manifest gestaltet. Das klingt vielleicht nach Agitprop, immerhin besser als manche Werbung, und es meint im Grunde nur eine Feststellung. FMP - im Rückblick. Ein Musiker, der bei seinem Antritt nicht hofft, die Welt zu verändern, gehört hier nicht her.

aus: Buch der Spezial Edition FMP im Rückblick

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