Barre Phillips
27.10.1937, San Franciso – 28.12.2024, Las Cruces, New Mexico
FMP-Publishing trauert um Barre Philipps.
Barre Phillips, Total Music Meeting 1988, © Dagmar Gebers/FMP-Publishing
Warum Barre Phillips anders ist
In einem zweiten, spontan arrangierten Set wird durch Barre Phillips aus dem Duo ein Trio. Es gibt ein paar Bassisten, die wegen ihres unorthodoxen Spiels mehr oder weniger aus der Jazz-Geschichte verbannt wurden. Sie spielen den Bass weder wie eine Gitarre (So wie Scott LaFaro zum Beispiel), noch beschränken sie sich auf gemütvolles Brummen à la Charlie Haden. Eigentlich hat Barre keinen ‚Stil’ im üblichen Sinne, er befindet sich bereits einen Schritt weiter, weil ihn ein bestimmter Stil nur in seiner Virtuosität hemmen würde. Wenn man Solokonzerte mit den New Yorker Philharmonikern unter Leonard Bernstein gegeben hat, wenn man rhythmischer Kontrapunkt zu Archie Shepps kreischendem Saxophon war oder gleichberechtigtes Mitglied von The Trio, der heute so schmerzlich vermissten Band aus den frühen Siebzigern, kann man durch herkömmliche ‚Stil’-Definitionen nicht mehr festgelegt werden. Was Barre Phillips macht, wird in keiner Weise dadurch eingeschränkt, dass er ‚nur’ Bass spielt. Er spielt Ideen, spielt Sound, und ‚Technik’ setzt er dort ein, wo es ihm angebracht erscheint. Er kann alles spielen, aber weil es keine Trennung gibt zwischen seiner Arbeit und seiner Person, und weil Barre Phillips für einen Musiker bemerkenswert frei von Egomanie ist, stellt er sich und seine Fähigkeiten immer in den Dienst der Musik. Er ist das genaue Gegenteil von Musikern wie beispielsweise Jonas Hellborg, die einem ihre Klasse förmlich aufdrängen. Barre konzentriert sich stattdessen auf seine Musik oder auf seinen Part in der Musik anderer. Er tut, was getan werden muss. Reich ist er damit nicht geworden. Aber er ist unabhängig geblieben und hat in seinem Leben noch nie eine Note gespielt, hinter der er nicht hundertprozentig steht. Außerdem geht ihm jegliches Konkurrenzdenken ab. Vielleicht erinnern sich einige an das alte FMP-Album Die Jungen: Random Generators (FMP 0680) mit Peter Kowald, auf dem Barre ständig bemüht ist, seinem ehemaligen Schüler genug Freiraum zu geben, ihn nicht in den Hintergrund zu drängen. Dies gilt auch für das Zusammenspiel mit Joëlle Léandre. Das heißt nicht, dass man auf sie Rücksicht nehmen müsste, aber wenn man die beiden zusammen hört, scheint Barre der risikofreudigere, neugierigere Musiker zu sein. Joëlle gibt alles, was sie hat und Barre hängt über dem Bass, Nase nach unten wie ein freundliches Tier auf Trüffelsuche, bereit, ihre Klangwelt zu erforschen. Er schnüffelt ein bisschen mit dem Bogen – und weiß Bescheid.
Barre Phillips backstage
„Es war eine gute Idee von Ogun, letztes Jahr diese alten Trio-Aufnahmen herauszubringen.“
„By Contact, ja. Ganz lustig, nicht?” „Es muss noch jede Menge Material geben. Ich habe ein sehr gutes Band vom Moers-Festival gehört. So Mitte der Siebziger.“ „Oh ja, richtig. Das war unser zweiter Anlauf. Ich glaube, damals war unsere Musik nicht mehr so inspiriert wie am Anfang. Aber wir haben vor, die Band zu reaktivieren.“ „Wirklich?“ (Schließlich ist Schlagzeuger Stu Martin seit zehn Jahren tot.) „Na, ja, ich, Surman und Pierre Favre. Ich bin froh, dass Surman mitmacht. Es ist an der Zeit, glaube ich. Rausgehen und ein bisschen Wind machen“.
Parker’s Mood
„Das funkte nicht richtig“, sagt Keith Tippett nach Evan Parkers und Louis Moholos erstem Set. „Ich habe ihnen das gesagt und sie sehen’s auch so. Sie haben’s für sich nicht auf die Reihe gekriegt, und deshalb konnte es auch zusammen nichts werden. Magst du ein Weißbier? Ah, da kommt Barre. Hey Barre, du warst toll. Weißbier gefällig?“
„Lieber nicht“ sagt Barre Phillips, höflich wie immer.
Mir geht es da anders. Was Parker/Moholo betrifft, meine ich.
Zugegeben, ihr Set war überraschend verhalten. Aber ‚verhalten’ ist nicht automatisch negativ. Bei einem Ereignis wie dem Total Music Meeting, wo jeder (ganz im Sinne alter Free Jazz ‚Tradition’) ständig mit Volldampf spielt, kann es sogar eine willkommene Abwechslung sein.
Ich habe das Gefühl, dass Evan Parker zurzeit ziemlich in sich geht. Er weiß, dass sich ein großer Teil der freien Szene in Europa in eine selbstgewählte Sackgasse zurückgezogen hat, und hat es vorgezogen, sich von ihrem ziellosen Dahingewurschtel endgültig zu verabschieden. Er hat sich nicht nach siebzehn Jahren von Incus-Records getrennt, um jetzt seine Energie zu verschwenden. Evan Parker ist ein ernsthafter (aber nicht ernster) Mann, der am liebsten mit ernsthaften Musikern zusammenarbeitet. Das erste Set in Berlin, bei dem er fast nur Tenorsax spielte, war ein klug ausbalanciertes Zusammenspiel aus Energie, Modulation und Rhythmus, straff zusammen gehalten von Moholos unablässig ratternden kleinen Bell-Cup Hi-Hats.
Nach einem unglaublich brillanten Solo von Barre Phillips, diesmal mit klaren, wenn auch schwer zu lokalisierenden Folk-Einflüssen, soll der Bassist auch bei Parker/Moholo einsteigen. Er bittet um zehn Minuten Atempause und „Bedenkzeit“, ist aber schon nach wenigen Minuten wieder auf der Bühne, bereit loszulegen. Verglichen mit Brötzmanns wilden Ausbrüchen der vorhergehenden Nacht wird hier fas kammermusikalisch improvisiert, ein vorsichtiges Herantasten an die Musik. Nach etwa einer Viertelstunde wird klar, warum: die Musiker können einander nicht hören. Monitorprobleme. Parker deutet auf die Lautsprecher und die Musiker, hebt die Hand. Mehr! Mehr! Nichts passiert. Parker hüpft auf und ab, gestikuliert mit der linken Hand, während die rechte immer noch mit seinem Solo beschäftigt ist. Mehr! Barre Phillips beugt sich über seinen Bass, flüstert direkt in den Tonabnehmer. Eine Stimme aus dem Weltall verkündet: „Hi...ich weiß, dass ihr mich hören könnt...wie wär’s mit ein paar mehr Bässen auf den Monitoren...ihr könnt das, ich weiß es...los, versucht es.“
Moholo, der Barres Geflüster möglicherweise als neuartige Form der Improvisation versteht, springt auf und fängt an, ins Mikro zu murmeln: „Lasst Mandela frei, lasst Mandela frei. ich weiß nicht, was sie mit Mandela machen, Mann“ Jubel bei der afrikanischen Abteilung (alle in der ersten Reihe). Nach dieser Einlage wird die Musik plötzlich freier, gelöster, öffnet sich. Louis und Barre finden sich zu einem auf- und abschwellenden Groove, dem Parker immer neue, aufregende Klangmuster entgegensetzt.
(Auszug aus der Rezension von Steve Lake - Ein Wochenende in Berlin. Wer die Wahl hat... zum TMM 1988) |